Delfinarium: Roman (German Edition)
mich um. In der Mitte zwischen Max und mir steht Susann oder Marie mit ihrem blonden Haar. Sie trägt T-Shirt und Jeans. Sie guckt auf ihre Füße, auf keinen von uns, die Arme um ihren Körper geschlungen. Ihr Haar leuchtet golden durch den grauen Wald, wieder ergreift mich eine Woge von diesem Gefühl, dass alles irreal ist. Als käme der Große Auszeichner im Metaphysischen Supermarkt an dieses Waldregal mit seiner Auszeichner-Pistole und klebe ein Schild an dieses Phänomen: Irreal. Hinter der leuchtenden Susann-Marie kann ich klein Max erkennen, der beide Arme hebt.
»Marie«, brüllt er.
Dann herrschen wieder Stille und Rauschen.
»Susann«, rufe jetzt ich, weil ich weiß, dass es von mir erwartet wird, und weil ich neugierig bin. Aber sie reagiert nicht. Sie guckt weiter auf ihre Füße.
»Marie«, brüllt er, »komm zu mir!«
»Susann«, brülle ich, »komm zu mir!«
»Marie, zu mir«, brüllt er.
»Susann, nicht zu ihm, zu mir«, brülle ich und muss grinsen, obwohl es eine ernste Angelegenheit ist.
»Marie, Marie, hierher«, brüllt er, als wäre sie eine Hündin. Es ist zu blöd.
»Marie, äh, Susann«, brülle ich und muss lachen. Marie oder Susann steht in der Mitte zwischen uns, und für mich sieht es aus, als würde sie den Kopf schütteln. Sie sieht erst zu Max, dann in meine Richtung. Und dann macht sie einen Schritt nach vorn und verlässt das gelbe Band der Sympathie. Sie betritt die hügelige Graslandschaft. Sie verschwindet zwischen den sanften Hügeln und hat sich zu keinem von uns mehr umgeschaut. Ich setze mich in Bewegung, trabe zu der Stelle, wo Marie eben noch stand. Max macht das Gleiche, er bewegt sich auf mich zu, wir beide fangen an zu rennen. Wir kommen gemeinsam in der Mitte an und sehen atemlos Susann über einen Hügel schlendern und dahinter verschwinden, mit dem linken Arm den rechten auf dem Rücken festhaltend. Wir gucken uns an, und ich schätze, dass ich mindestens so dämlich aussehe wie er.
»Ist damit jetzt etwas bewiesen?«, frage ich.
»Hm«, macht er.
Dann fängt er an zu lächeln. Er legt mir den Arm um die Schultern.
»Lass uns was essen gehen«, sagt er. »Die kommt schon wieder.«
»Jupp«, sage ich.
Nachts klingelt mein Telefon, ich greife neben mich auf den Nachtschrank.
»Pet«, sage ich. »Was gibt’s?«
»Das wollte ich dich gerade fragen.«
»Ich brauche noch Zeit«, sage ich.
»Ach, Daniel.«
»Man müsste mal abklären als Nächstes«, sage ich, »ob die Daten übereinstimmen. Marie ist im April verschwunden, sagt Max. Vielleicht kannst du irgendwie herausfinden, ob es der gleiche Tag gewesen ist, an dem Susann ins Koma gefallen ist.«
»Daniel«, sagt sie.
»Was?«, frage ich.
»Ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache. Ich habe das Gefühl, du verrennst dich da in etwas.«
»Wie«, sage ich. »Wir waren uns doch einig, dass wir die Sache aufklären wollen. Du warst doch dabei, du warst doch einverstanden.«
»Ja«, sagt Petra, »aber ich habe es für dich getan. Ich hatte das Gefühl, dass du es nötig hast.«
»Wie?«, frage ich.
»Daniel, ich habe das Gefühl, du kümmerst dich nur so sehr um diese Frau, weil du mit deinem eigenen Leben nicht zurechtkommst.«
»Na toll«, sage ich.
»Du drehst dich auf der Stelle. Du rennst vor dir davon. Wir sind jetzt schon so lange mit der Schule fertig und du hast immer noch keinen Schimmer.«
»Jetzt fängst du auch noch an«, sage ich, »Petra, na super, ich dachte, wenigstens auf dich kann ich mich verlassen.«
»Daniel«, sagt sie. Dann ist es eine Weile still. Ich lausche in das Dunkel um mich herum und stelle mir Petra in ihrem Zimmer vor. Plötzlich kann ich sie schluchzen hören, ganz leise, kontrolliert, wie es ihre Art ist.
»Ich kann das nicht mehr«, sagt sie. »Ich dachte, ich kriege es hin und ich sollte dich nicht hängen lassen. Aber irgendwie geht es über meine Kraft.«
»Pet«, sage ich, »kannst du mir vielleicht mal sagen, worum es geht?«
»Ich kriege es nicht hin«, sagt sie. »Ich sehe nicht ein, dass ich dir hier den Rücken freihalte, während du mit einer anderen Frau ...«
»Petra«, sage ich, »hättest du dir das nicht eher überlegen können? Ich muss doch wissen, was mit Henry und mit meinem Vater los ist.«
»Daniel, ich kriege es nicht hin.«
Wir schweigen.
Sie sagt: »Ich weiß es ja auch nicht, früher habe ich immer an uns geglaubt. Ich hatte dieses Bild von uns.«
»Pet«, sage ich.
»Ich brauche mal eine Pause, ich muss über alles
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