Delfinarium: Roman (German Edition)
sie dann und guckt mir tief und ernst in die Augen. Sie sind gleichzeitig blau und grün, dicht an der Pupille grün, dann türkis – und außen ist ein blauer Ring.
»Danke«, sage ich. Sie lächelt bloß müde.
Ich setze mich in ein Café, weil ich nicht weiß, was ich sonst tun soll. Den ganzen Tag spazieren gehen kann ich auch nicht. Ich bestelle einen Milchkaffee und lege mein Buch auf die Tischplatte. Ich denke daran, wie mein Vater bei Petra anruft, ob sie mittlerweile etwas von mir gehört habe. Petras Vater ist dran. Petra hat ihm nichts von mir und meinem Verschwinden erzählt. Also tut mein Vater es, und Petras Vater ist bestürzt.
»Kann ich etwas für dich tun?«, fragt er meinen Vater.
»Das ist nett«, sagt mein Vater, »aber was willst du denn machen? Willst du für ihn beten, oder wie?«
Anschließend spricht Petras Vater mit Petra. »Was ist denn das für eine Geschichte mit Daniel da?«, fragt er seine Tochter. Er schaut sie durchdringend an, weil er seine Tochter genau kennt und sich vorstellen kann, dass sie mehr über die Sache weiß, als sie bisher zugegeben hat. Er setzt sich zu ihr und kocht sie weich.
Er sagt: »Wenn du irgendetwas darüber weißt, dann sag es mir jetzt. Jetzt ist die Gelegenheit, erleichtere dich, du wirst sonst nicht mehr froh. Und später ist der Moment vorüber.«
Dann denke ich an Marie oder Susann auf dem Hof von Max Braun, und ich bekomme ein ganz weiches, flaues Gefühl im Bauch, das mir, wenn ich mir Details ausmale, immer weiter in den Unterleib kriecht. Aber ich will nicht daran denken.
Eine ältere Frau setzt sich zu mir an den Tisch und erkundigt sich nach dem Buch, das ich in meinen Händen halte. Ich habe es in der Buchhandlung am Ort gekauft. Ich weiß nicht, was ich antworte, irgendetwas. Sie empfiehlt mir, Bücher von Anselm Grün zu lesen, der habe Antworten auf alle Fragen.
»Aha«, sage ich.
Ich schaue die Frau genauer an, eine ältere Dame mit einer Brille. Sie trägt ein lavendelfarbenes T-Shirt, auf dem in geschwungener Schrift MTV steht. Mit etwas Fantasie kann ich mir vorstellen, dass sie mal eine hübsche Person gewesen ist, vor urlangen Zeiten.
»Sind Sie ganz alleine hier?«, fragt sie.
»Ja«, sage ich.
»Das ist aber ungewöhnlich in Ihrem Alter«, sagt sie.
»Tja«, sage ich.
»Was machen Sie sonst?«, fragt sie.
Ich sage: »Nichts«, und dass ich jetzt lieber lesen möchte.
Sie schaut mich an, dann rührt sie lächelnd in ihrem Kakao.
Als sie gegangen ist, denke ich, dass sie eigentlich nett gewesen ist. Ich habe keine Übung im Umgang mit Frauen in dem Alter. Ich denke daran, wie es wäre, mit meiner Mutter an einem Cafétisch zu sitzen, heiße Schokolade, gleich ein Spaziergang am Meer. Ein gemeinsamer Urlaub, viel Wind, wenig reden, alles selbstverständlich und geborgen, Tritte auf leere Muschelschalen am Strand.
Um sechs stehe ich vorm Supermarkt und warte auf ein Mädchen namens Schade. Als sie vor mir steht, lächelt sie kurz, um anschließend ernst an meiner Schulter vorbeizugucken. Sie trägt das ärmellose Top und orangene Hotpants darunter.
»Und jetzt?«, fragt sie und sieht auf einmal sehr jung aus und viel weniger selbstbewusst als hinter der Supermarktkasse.
»Weiß nicht«, sage ich, »ist ja deine Stadt.«
»Kaff«, sagt sie.
»Hast du Hunger?«, frage ich.
»Nein«, sagt sie, »nie.«
»Zum Strand?«, frage ich, weil es mir das Naheliegendste scheint, wenn man schon mal am Meer ist.
»Klar«, sagt sie, »warum nicht.«
»Also, was machst du hier?«, fragt sie, als wir einen staubigen Weg zwischen Heckenrosen hindurch Richtung Steilküste gehen.
Ich erzähle ihr, dass mein Name Martin ist und dass ich einfach mal ein paar Tage wegmusste, Urlaub von zu Hause. Ich sage ihr, dass ich aus Berlin komme, und sie sagt, dass Berlin cool sei. »Ich weiß«, sage ich, »das sagen alle.« Eigentlich muss ich gar nicht viel erzählen, denn das wenige, was ich sage, reicht ihr vollkommen. Sie will wissen, wie alt ich bin und ich sage 20 und das scheint ihr zu gefallen. Sie erzählt mir, dass sie 16 sei und gerade die Realschule beendet habe und der Job im Supermarkt nur ihr Ferienjob sei. In Berlin sei sie auch öfter, dann gehe sie gerne ins 40seconds und in die 11’n’Lounge . Ihr Lieblingscocktail sei Swimmingpool .
»Ah«, sage ich.
»Wo wohnst du?«, fragt sie. Und ich gucke sie fragend an, weil ich gerade erzählt habe, woher ich komme, und ich frage mich, ob sie meine Lügen durchschaut.
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