Delhi Love Story
habe. »So haben Sie mehr Beinfreiheit«, erklärt er. Er zwinkert mir zu, setzt sich entspannt auf die Rückbank und verkündet, kaum dass sich das Taxi in Bewegungn gesetzt hat, er wolle nun ein wenig schlafen.
Mir macht das nichts aus. Q beginnt zu lesen, legt aber nach einer Weile Buch und Brille beiseite und döst ein. Ich kurbele das Fenster herunter und öffne langsam die Faust. Das Stückchen Papier fliegt im Fahrtwind davon, schon kann ich es nicht mehr sehen. Ich kurbele das Fenster wieder hoch, lehne mich zurück und schließe die Augen. »9810058625«, flüstert eine Stimme in meinem Kopf.
Als kleine Überraschung vor den Ferien hält Mr Gupta, unser Mathelehrer, einen Test ab. Es läuft nicht gut. Die ersten Fragen drehen sich um Permutationen und Kombinationen; ich habe Schwierigkeiten. In der ersten Rechnung soll ich ›n‹ Dinge jeweils mit ›r‹ so kombinieren, dass zwei bestimmte Dinge gleichzeitig eintreten. Ich nehme an, dass ich mir die zwei Dinge aussuchen kann. Zum Beispiel: Ich rufe ihn an und er entschuldigt sich für sein Verhalten? Ich rufe ihn an und er bittet mich um eine Verabredung? Ich rufe ihn an und er sagt, dass er mich liebt? Natürlich könnte alles Mögliche geschehen, aber ich kann mir keine Permutation oder Kombination
denken, in der die beiden Dinge, die ich mir aussuchen würde, gleichzeitig eintreten könnten. Die Wahrscheinlichkeit, dass zwei solche Dinge sich gleichzeitig ereigneten, ginge gegen null. Aber sie wäre nicht null, oder? Wenigstens nicht mathematisch betrachtet. Was geschieht, wenn ich anrufe? Ein hypothetischer Fall, der natürlich nie eintreten wird, aber was wäre, wenn … Die Rechnung verschwimmt vor meinen Augen, tanzt über die Seite. Aus ›n‹ wird ein attraktiver Romeo, aus ›r‹ eine hingebungsvolle Julia. Ani, du bist echt peinlich, schimpfe ich mit mir selbst.
Im Test habe ich total versagt. Das wird mir klar, als ich sehe, wie Mr Gupta kopfschüttelnd mein Aufgabenblatt betrachtet und freundlich vorschlägt, ich solle nach der Schule für ein Tutorium bleiben. »Das wird dir wirklich helfen, Anisha«, sagt er, »und heute unterrichtet Mr Sarathy, der Leiter des Fachbereichs Mathematik.«
»Aber ich habe nach dem Unterricht Tennis …«
Er lächelt, schüttelt den Kopf und murmelt, er sei sicher, dass ich die richtige Entscheidung treffen werde.
Die richtige Entscheidung. Genau, Ani, seufze ich, es geht immer um die richtige Entscheidung. Triff die richtige Entscheidung. Ich sage Keds, er soll ohne mich zum Tennis gehen.
»Du besuchst Sarathys Tutorium?«, fragt er. »Du Arme! Ich warte nachher auf dich.«
Irgendwie stehe ich die grausamen anderthalb Stunden im Tutorenzimmer durch. »Mathe ist wie geistiges
Yoga«, erklärt uns Mr Sarathy lächelnd zu Beginn des Unterrichts. »Also fangen wir mit dem Asana namens Permutation an.« Alle schreiben mit. Ich starre meine Mitleidenden an, bis ich merke, dass Mr Sarathy mich mit hochgezogenen Augenbrauen ansieht. Ich habe keine Wahl. Lichtjahre später verlasse ich das Klassenzimmer trauriger und ein bisschen weiser als vorher.
Über dem Schulgelände liegen schon lange Schatten, als ich mich auf den Weg zu den Tennisplätzen mache. Sie sind menschenleer, genau wie die Gebäude. Die Schule scheint alle Schüler anlässlich der Ferien ausgespuckt zu haben. Bis die Lämmer zurück zur Schlachtbank müssen.
Keds übt auf einem der hinteren Tennisplätze. Er blickt mir kurz ins Gesicht und fragt dann: »War es so schlimm?«
»Wir haben das Permutations- Asana gemacht.«
Mitleidig legt er mir den Arm um die Schulter. »Sarathy ist eine Institution. Er wird sogar in der Education Times zitiert.«
»Man sollte ihn einsperren. Hast du jemals das Kombinatorik- Asana ausprobiert?«
»Entspann dich, es ist Freitagabend. Jetzt beginnen ganz offiziell die Ferien!«
»Ja, genau. Und warum sind die Prüfungen direkt nach den sogenannten Ferien?«
»Weil Prüfungen Spaß machen.«
Ich will ihm einen Ball an den Kopf werfen. Mühelos weicht er aus. »Hast du Lust auf Tennis?«, fragt er.
Das Spiel ist bereits nach zwei kurzen Sätzen zu Ende. »Was ist los mit dir?«, fragt Keds. »Ich habe noch nie so viele Doppelfehler gesehen.«
»Ich bin einfach müde.«
Auf dem Weg zur Bushaltestellte schnipst er mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und sagt, ich solle die Sache mit den Prüfungen nicht so wahnsinnig ernst nehmen. Ich antworte, er solle aufhören, an meinen Haaren herumzuschnipsen. Mit
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