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Delhi Love Story

Delhi Love Story

Titel: Delhi Love Story Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Swati Kaushal
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doch die Kinder gleich hinein, Mrs Qureishi, sie sind wahrscheinlich als Nächste an der Reihe.«
    »Ich habe kein gutes Gefühl«, sagt Keds.
    »Ach nein? Wieso denn bloß?«
    »Weißt du, wohin wir gehen sollen?«

    »Keine Ahnung.«
    Wieder ertönt Applaus. Der Typ vorne auf der Bühne scheint seine Rede beendet zu haben und verlässt das Podium. Ein spießig aussehender Junge tritt ans Mikrofon und dankt Siddhart Sharma aus der 12C der Manav Jyoti Public School für »eine sehr erfreuliche und informative Rede …«.
    Hinter mir gähnt jemand lange und laut.
    »Kunst versus Wissenschaft: Geht die eine auf Kosten der anderen?«, fährt der spießige Typ fort. »Ihre erhellenden Gedanken zu dieser schwierigen Frage teilt uns nun mit: Miss Jaishree Bhatnagar aus der 12C von Little Lilies.«
    Die Zuschauer klatschen euphorisch. Natürlich sind sie alle parteiisch. Das Mädchen geht selbstbewusst zum Podium, sie wirkt sogar leicht aggressiv. Auf der letzten Stufe stolpert sie. Ich nehme mir vor, an dieser Stelle aufzupassen, wenn ich an der Reihe bin. Ich will mir keinen Fehltritt erlauben.
    Jaishree dankt der Jury und dem Publikum und beginnt dann mit einem leidenschaftslosen Plädoyer für die Wissenschaft. Ihre Argumente sind klar vorgetragen, aber schlecht recherchiert. Sie beendet ihren Vortrag mit dem Hinweis, wir lebten heute in einer von Atomkraft bestimmten Welt und Indien verdanke seine wachsende wirtschaftliche Bedeutung dem wissenschaftlichen Fortschritt. Liebe kleine Miss Jaishree, ich werde dich fertigmachen, denke ich.
    »Und jetzt zum gleichen Thema an der Reihe: Miss Anisha Rai aus der 11E der National Public School.«
    Als ich zum Podium gehe, gibt es nicht einmal Höflichkeitsapplaus. Aber das ist mir egal. Ich halte mich gerade und gehe zielsicher nach vorne. Ich weiß, wie sehr der erste Eindruck zählt, den ich auf die Jury mache, und welche Bedeutung die Körpersprache dabei hat. Brauche ich zu lange bis zum Podium, könnten sie mich als langsame Person wahrnehmen. Bin ich zu schnell, wirke ich vielleicht vorlaut. Ich wähle genau die Geschwindigkeit und Haltung, die Respekt und Aufmerksamkeit auslösen.
    »Guten Morgen.« Ich justiere das Mikrofon in der richtigen Höhe. Während mein Blick über die im Halbdunkel liegenden Gesichter schweift, werde ich ganz ruhig. »Kunst und Wissenschaft«, beginne ich meine Rede, »sind sie tatsächlich Rivalen? Hätte sich die eine denn je ohne die andere entwickelt?«
    Ich mache eine Pause und stelle Blickkontakt zur Jury her. Da ist eine Dame in einem beigen Sari, ein Herr in schwarzen Hosen, jemand in beigen Jeans …
    Kunal Pradhan sitzt mit übereinandergeschlagenen Beinen da und blickt mich aus schwarzen Augen an.
    Die Zeit scheint stillzustehen. Ich weiß, dass ich jetzt etwas sagen muss, aber mir fällt nichts ein. Meine gerade noch glasklaren Gedanken haben sich in Luft aufgelöst. Die eben noch gleichgültigen Zuschauer spüren, dass etwas nicht stimmt, sie lehnen sich aufmerksam nach vorne. Ich räuspere mich und versuche, einen klaren Kopf zu bekommen. Wissenschaft. Kunst. Debatte. Theater. Symbolik. Verbales Vorspiel. Irgendwie gelingt es mir, meine sorgfältig vorbereitete Rede zu beginnen.
    »In den Worten Albert Einsteins, eines der größten Wissenschaftler aller Zeiten…« Das Publikum entspannt sich enttäuscht. Sie merken, dass der Zug nur kurz aus dem Gleis gesprungen ist, ein Unfall aber verhindert wurde. Es gibt keine Verletzten, wenigstens keine offensichtlichen.
    »Fantasie ist wichtiger als Wissen …«
    Es fällt mir nicht leicht. Jedes Wort fühlt sich spitz und schwer an, ich muss es mühsam hervorholen. Aber ich schaffe es, eine Silbe, einen Satz, einen Gedanken nach dem anderen zu formulieren. Ich spreche flüssig, mit ruhiger Stimme und vermeide es, irgendjemanden anzusehen. Nach einer Million Jahren bin ich schließlich am Ende meiner Rede.
    Er klatscht, genau wie die anderen. Ich sehe ihn nicht an und weiß doch genau, wann er den Blick von mir abwendet und sich zu der Person neben ihm beugt, die ihm etwas ins Ohr flüstert. Ich weiß, dass er nickt, etwas notiert, seine Beine wieder übereinanderschlägt und mir zuhört, als ich die Fragen aus dem Publikum beantworte. Ich weiß, dass er mir nachblickt, als ich die Stufen hinuntergehe.
    »Und jetzt hören wir: Kedar Verma, Klasse 11E der National Public School …«
    Ich schlage Keds ab, als er auf dem Weg zum Podium an mir vorbeigeht, und bin überrascht, dass er

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