Delhi Love Story
traurig den Kopf. »Ich sollte
wirklich gehen«, sagt sie. »Ich kann nicht hierbleiben, Tante Isha.«
»Du bist herzlich willkommen.«
Sie lächelt schief. »Das ist sehr nett. Aber –«
»Aber was?«
»Rupa- Didi – sie – ich kann sie nicht allein lassen …«
»Nach allem, was sie gestern Abend gesagt hat!«, stoße ich hervor.
»Gestern Abend war sie sehr aufgeregt«, sagt Ma. »Das kann man ihr nicht vorwerfen. Aber ich weiß, dass du ihr wirklich wichtig bist, Rani.«
»Ja«, nickt Rani.
»Aber Ma, selbst wenn Rani Rupa ›wirklich wichtig‹ ist, kann sie doch nicht zurückgehen, solange dieser Mann da ist! Und Chandra –«
»Ich schaffe das schon«, sagt Rani. »Ich werde mich entschuldigen und –«
»Was?«
»Es gibt nichts, wofür du dich entschuldigen müsstest, Rani«, sagt Ma sanft. »Du hast nichts falsch gemacht. Und ich stimme Annie zu: Du solltest nirgends leben, wo du dich nicht sicher fühlst.«
»Aber Tante Isha, ich kann sonst nirgendwohin. Ich – ich kann nicht zurück nach Jhansi …«
»Aber du kannst hier wohnen. Los, Ma, sag es ihr.«
»Rani«, sagt Ma, »ich werde mit Rupa reden. Ich bin sicher, wir finden eine Lösung.«
Dreiundzwanzig
Der Morgen ist trübe, grau, bedeckt. Nach Chandras Auftritt finde ich nur schwer in den Schlaf zurück. Als ich aufwache, ist es bereits nach zehn Uhr. Ma ist nicht da und Rani sitzt am Esstisch. Sie starrt mit leerem Blick vor sich hin. Als ich hineinkomme, springt sie auf und erzählt mir in niedergeschlagenem Ton, dass Ma vor einer halben Stunde zu den Bajajs hinaufgegangen ist. »Mach dir keine Sorgen«, sage ich, »sie wird eine Lösung finden. So etwas kann sie gut.«
Rani lächelt nicht zurück. Sie hat dunkle Augenringe, wahrscheinlich hat sie nicht mehr geschlafen, seit Chandra hier war. An diesem grauen Morgen sieht die Lage für sie bestimmt verzweifelt aus. Ich schiebe meine Bücher beiseite und versuche, sie für ein Kartenspiel oder für Schach zu begeistern; frage sie, ob sie mir eine Hindi-Stunde geben will. »Oder soll ich dir Tennis beibringen? «, biete ich an. »Ich habe einen zweiten Schläger. «
Sie schüttelt nur den Kopf und sagt, sie wäre lieber alleine. Ich drücke ihr die Hand und sage, wenn sie mich brauche, sei ich in meinem Zimmer beim Lernen. Sie scheint mich kaum wahrzunehmen. Ihre unklare Zukunftsperspektive belastet sie wohl sehr.
Ma kommt erst eine Stunde später zurück. Sie klingelt, als ich gerade aus der Dusche steige. Rani öffnet ihr die Tür. Schnell ziehe ich mich an. Ma steht im Flur und umarmt die weinende Rani.
»Wir haben alles geregelt«, sagt sie mit feuchten Augen. »Rani bleibt bei uns.«
Meine Erleichterung spiegelt sich in Ranis Lächeln. »Sie kann wirklich hierbleiben?«
»Ich hatte ein langes Gespräch mit Rupa«, sagt Ma. »Sie überlegt, für eine Weile mit Ragini zu ihrer Schwester nach Goa zu gehen, und sie wäre dankbar, wenn Rani in dieser Zeit bei uns bleiben könnte.«
»Ma, das ist großartig! Oder, Rani?«
»Tante Isha, wie lange wird Rupa- Didi weg sein?«
»Das weiß sie noch nicht. Sie sagte, sie müsse über einiges nachdenken.«
»Vielleicht kommt sie nie mehr zurück«, vermute ich. »Dann kann Rani für immer bei uns bleiben!«
Ma wuschelt mir durch die Haare. »Du spinnst ja. Aber schön wäre es schon. Ich wollte immer zwei Töchter haben.«
»Wirklich?«, frage ich.
»Oder wenigstens eine«, sagt sie kopfschüttelnd angesichts meiner zerfetzten Jeans und meines zu großen T-Shirts. »Wirklich, Ann, wo hast du denn dieses T-Shirt her?«
»Es gehört Keds«, grinse ich.
Sie zuckt zusammen und sagt, wenn ich schon Keds’ Kleidung tragen müsse, sei es höchste Zeit, mit mir einkaufen zu gehen.
»Nein danke!«
»Ann –«
»Ich muss lernen, Ma. Die Prüfungen, erinnerst du dich?«
Seufzend fragt sie Rani: »Hast du auch Prüfungen?«
»Das dauert noch«, lächelt Rani schüchtern.
Sofort beginnen Mas Augen zu leuchten. »Möchtest du einkaufen gehen?«
»Also –«
Ma nimmt ihre Handtasche, zieht sich die Schuhe an. »Oh, Rani, wir werden einen Riesenspaß haben«, sagt sie und schiebt Rani zur Tür hinaus.
»Pass bloß auf, Rani!«, rufe ich, obwohl ich weiß, dass es sinnlos ist. Ach Ma, denke ich. Ich habe dich so lieb.
Am Nachmittag klingelt es an der Tür. Als ich öffne, liegt ein blassgrüner Rucksack vor der Tür; niemand ist zu sehen. Wer auch immer uns das hässliche grüne Ding vor die Tür gelegt hat, wollte offensichtlich
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