Delia 1 - Delia, die weisse Indianerin
Zimmer!“
Der Wirt streckte gierig seine Hand aus. „Aber Sie haben doch gar nicht darin geschlafen, Demoiselle!“
„Aber ich habe es benutzt, Herr Wirt – ich möchte Ihnen nicht gern was schuldig bleiben!“
Der Wirt ließ das Goldstück rasch in seiner Schürzentasche verschwinden.
„Ja, dann danke ich auch schön, Demoiselle ... Und gute Fahrt! Und vielleicht beehren Sie mich auf der Rückreise wieder!“
Er dienerte Delia aus der Gaststube und aus dem Wirtshaus hinaus. Delia winkte ihm erleichtert zu. „Auf Wiedersehen, und schönen Dank für alles!“
Zielbewusst marschierte sie davon, genau in die entgegengesetzte Richtung, in die sie eigentlich wollte. Erst als sie außer Sichtweite des Wirtes war, bog sie in eine Seitengasse ein und lief auf einem Umweg zur Zirkuswiese hinaus.
„Uff!“ sagte sie laut. „Das wäre geschafft!“
Schon von Weitem sah sie bunte Lampions leuchten. Die Abendvorstellung hatte begonnen. Aber jetzt hatte Delia kein Interesse mehr für die Vorführungen. Sie schlängelte sich an der Manege vorbei und auf den Platz hinter der Zeltwand, wo die Wohnwagen standen.
Kostümierte Gestalten rannten hin und her, aber nirgends konnte sie Katinka oder Kaspar entdecken, und niemand achtete weiter auf sie und ihren Mops.
Delia ließ sich auf der kleinen Treppe nieder, die zu dem Wagen führte, aus dem die Seiltänzerin am Nachmittag gekommen war. Sie nahm ihren Mops auf den Schoß und wartete. Es wurde dunkler und dunkler, das Öllämpchen über dem Eingang des Wagens verbreitete nur ein spärliches Licht, und ganz allmählich fielen Delia die Augen zu.
Sie schreckte auf, als sie eine bekannte Stimme hörte.
„Was machst denn du hier?“
Delia rieb sich die Augen. Der Mops sprang von ihrem Schoß. Vor ihr stand Katinka in ihrem Tänzerinnenkostüm. „Entschuldige“, sagte Delia. „Ich glaube, ich bin eingeschlafen!“
Katinka lachte. „Das scheint mir auch so! Konntest du dir keinen bequemeren Platz aussuchen?“
Der Mops sprang an Katinka hinauf und schleckte ihr die Hände ab, als wollte er um einen guten Empfang für seine kleine Herrin bitten.
„Ich hab’ keinen gefunden“, sagte Delia.
„Hier kannst du nicht schlafen“, erklärte Katinka. „Wir bauen gleich nach der Vorstellung ab und fahren weiter!“
„Nach Hamburg?“
„Ja. Aber da werden wir erst in einer Woche sein.“
Delia rechnete schnell nach. „Das genügt“, sagte sie. „Nehmt ihr uns mit – mich und meinen Mops?“
„Aber ... geht das denn?“ fragte Katinka vernünftig. „Wird man dich nicht suchen?“
„Vorläufig jedenfalls nicht. Ich habe dem Wirt vom „Goldenen Löwen“ einen Bären aufgebunden. Er glaubt, dass ich Bekannte getroffen habe, die mich mit nach Hannover nehmen.“
Katinka ließ sich neben Delia auf dem Treppchen nieder. „Ach ja“, sagte sie, „da wolltest du ja hin! Wird man dich nicht vermissen, wenn du nicht ankommst?“
„Ich habe mir alles genau überlegt“, sagte Delia. „Morgen werde ich an Madame Pützmeier schreiben, dass ich vorläufig nicht komme ... und an meine Mama, dass ich schon in Hannover bin ...“
„Du kannst schreiben?“ fragte Katinka neidvoll.
„Natürlich.“
„So natürlich finde ich das gar nicht. Kaspar und ich, wir können fremde Sprachen ... Französisch, Englisch, ein bischen Spanisch und Italienisch, auch etwas Polnisch ... wir können viele Zirkuskunststücke, aber lesen und schreiben können wir nicht!“
Delia fand das nicht so erstaunlich. Sie kannte einige Kinder, die nie eine Schule besucht hatten, denn damals gab es noch keine allgemeine Schulpflicht. Sie selbst hatte zuerst mit ihren Schwestern zusammen eine Hauslehrerin gehabt, später war sie in Schönau in eine kleine Privatschule gegangen, in die nur Kinder gehen konnten, deren Eltern bereit waren, sehr viel zu zahlen.
„Ich bringe es dir bei“, sagte sie, „wenn du mich mitfahren lässt!“
„Glaubst du, ich lerne es?“ fragte Katinka ungläubig.
„Ganz bestimmt. Es ist ja nichts dabei. Viel leichter als zum Beispiel Seiltanzen.“
Katinka legte ihren Arm um die neu gewonnene Freundin. „Du bist lieb“, sagte sie, „und, pass mal auf – ich werde dich dafür das Seiltanzen lehren!“
Delia schüttelte den Kopf. „Nichts für mich. Ich wette, es braucht Jahre, bis man das kann! Und ich möchte mir auf keinen Fall einen Arm oder ein Bein brechen, sonst wird nichts aus meiner großen Reise!“
„Aus was für einer Reise?“
Delia
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