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Delirium

Delirium

Titel: Delirium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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aber sie ruft mich. Ich bleibe stehen, einen Fuß auf der Treppe. Sie kommt in den Flur und trocknet ihre Hände an einem Geschirrtuch ab.
    Â»Wie war’s bei Hana?«, fragt sie. Suchend lässt sie ihren Blick über mein Gesicht schweifen, als hielte sie Ausschau nach Anzeichen für irgendetwas. Ich gebe mir Mühe, einen weiteren Anfall von Verfolgungswahn zu unterdrücken. Sie kann gar nicht wissen, wo ich gewesen bin.
    Â»Es war gut«, sage ich achselzuckend und versuche beiläufig zu klingen. »Hab allerdings nicht viel geschlafen.«
    Â»Mmm.« Carol sieht mich weiterhin forschend an. »Was habt ihr Mädchen denn gemacht?«
    Sie fragt nie, wie’s bei Hana war, das hat sie seit Jahren nicht getan. Irgendetwas stimmt da nicht , denke ich.
    Â»Na ja, das Übliche, weißt du. Ein bisschen ferngesehen. Hana kriegt ungefähr sieben Sender rein.« Ich weiß nicht genau, ob meine Stimme wirklich so seltsam schrill klingt oder ob ich es mir nur einbilde.
    Carol sieht weg und verzieht den Mund, als hätte sie gerade einen Schluck saure Milch getrunken. Ich merke, dass sie versucht, mir etwas Unangenehmes zu sagen; ihr Saure-Milch-Gesicht kriegt sie immer dann, wenn sie schlechte Nachrichten verkünden muss. Sie weiß das mit Alex, sie weiß es, sie weiß es. Die Wände rücken näher und die Hitze ist erdrückend.
    Zu meiner Überraschung verzieht sie ihren Mund zu einem Lächeln, streckt die Hand aus und legt sie mir auf den Arm. »Weißt du, Lena … es wird nicht mehr lange so sein.«
    Ich habe vierundzwanzig Stunden lang erfolgreich jeden Gedanken an den Eingriff verdrängt, aber jetzt schnellt diese furchtbare, bedrohliche Zahl zurück in meinen Kopf und wirft einen Schatten über alles. Noch siebzehn Tage.
    Â»Ich weiß«, presse ich hervor. Jetzt klingt meine Stimme ganz bestimmt seltsam.
    Carol nickt und hat immer noch dieses eigenartige Halblächeln im Gesicht. »Ich weiß, es ist schwer vorstellbar, aber du wirst sie danach nicht vermissen.«
    Â»Ich weiß.« Als hätte ich einen sterbenden Frosch in der Kehle.
    Carol nickt mir weiterhin energisch zu. Es sieht aus, als wäre ihr Kopf mit einem Jo-Jo verbunden. Ich habe das Gefühl, sie will noch etwas sagen, irgendetwas, um mich zu beruhigen, aber offensichtlich fällt ihr nichts ein, denn wir stehen fast eine Minute lang einfach nur starr da.
    Schließlich sage ich: »Ich gehe rauf. Duschen.« Es erfordert meine ganze Willenskraft, die Worte rauszubringen. Siebzehn Tage dröhnt wie ein Alarm durch mein Bewusstsein.
    Carol scheint erleichtert, dass ich das Schweigen gebrochen habe. »Okay«, sagt sie, »okay.«
    Ich nehme immer zwei Stufen auf einmal, kann es kaum erwarten, mich im Bad einzuschließen. Obwohl es hier im Haus mindestens sechsundzwanzig Grad warm ist, will ich mich unter einen Strahl glühend heißen Wassers stellen und zu Dampf zerfließen.
    Â»Ach, und Lena«, ruft mir Carol dann noch hinterher. Ich drehe mich um und sie sieht mich nicht an. Sie untersucht den ausgefransten Rand ihres Geschirrtuchs. »Du solltest dir was Nettes anziehen. Ein Kleid – oder diese hübsche weiße Hose, die du letztes Jahr gekriegt hast. Und frisier dich. Lass die Haare nicht einfach an der Luft trocknen.«
    Â»Warum?« Es gefällt mir nicht, dass sie mich gar nicht ansieht, vor allem, wo sich ihr Mund schon wieder so verzieht.
    Â»Ich habe Brian Scharff heute zu uns eingeladen«, sagt sie beiläufig, als wäre es etwas ganz Alltägliches und Normales.
    Â»Brian Scharff?«, wiederhole ich dämlich. Der Name fühlt sich in meinem Mund eigenartig an, metallisch.
    Carol hebt ruckartig den Kopf und nun sieht sie mich an. »Nicht allein «, sagt sie schnell. »Natürlich nicht allein. Seine Mutter kommt mit. Und ich bin selbstverständlich auch hier. Außerdem hatte Brian letzten Monat seinen Eingriff.« Als wäre es das , was mir Sorgen macht.
    Â»Er kommt hierher? Heute?« Ich muss die Hand ausstrecken und mich an der Wand abstützen. Irgendwie ist es mir gelungen, Brian Scharff, diesen ordentlich ausgedruckten Namen auf einem Blatt Papier, vollkommen zu vergessen.
    Carol lächelt mich beruhigend an. »Keine Sorge, Lena. Das wird schon. Du kannst uns das Reden überlassen. Ich dachte nur, ihr beide solltet euch mal kennenlernen, wo ihr doch …« Sie beendet den Satz

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