Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Delirium

Delirium

Titel: Delirium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
Vom Netzwerk:
rechtzeitig zur Arbeit kommt. Ich höre, wie seine Schritte mit der Dunkelheit verschmelzen.
    Dann schlafe ich ein.
    Liebe: ein einzelnes Wort, ein schmächtiges Ding, ein Wort, nicht breiter oder länger als eine Schneide. Das ist es auch: eine Schneide, eine Klinge. Es fährt durch das Zentrum deines Lebens und schneidet alles mittendurch. Vorher und nachher. Der Rest der Welt fällt auf beiden Seiten hinunter.
    Vorher und nachher – und währenddessen, ein Moment, nicht breiter oder länger als eine Schneide.

neunzehn
    Frei sein oder tot.
    Altes Sprichwort, Herkunft unbekannt, siehe
Vollständige Sammlung gefährlicher
Wörter und Gedanken , www.vsgwg.gov.org
    D as Leben ist seltsam. Es schleppt sich weiter dahin, blind und unbewusst, selbst wenn deine kleine private Welt – dein kleiner zurechtgeschnitzter Bereich – sich dreht und verändert oder ganz auseinanderbricht. Heute hast du noch Eltern; morgen bist du Waise. Heute hast du noch einen Platz und einen Weg; morgen hast du dich im Dickicht verirrt.
    Und trotzdem geht die Sonne auf und Wolken ballen sich zusammen und treiben vorüber und die Leute kaufen Lebensmittel, und Toilettenspülungen laufen und Jalousien gehen hoch und runter. Da wird dir bewusst, dass das meiste davon – vom Leben, der unaufhörlichen Existenz – nichts mit dir zu tun hat. Es schließt dich überhaupt nicht mit ein. Es wird weiterdrängen, selbst wenn du über die Kante gesprungen bist. Selbst wenn du tot bist.
    Als ich am Morgen zurück in die Innenstadt von Portland gehe, überrascht mich das am meisten – wie normal alles aussieht. Ich weiß nicht, was ich erwartet habe. Ich habe nicht wirklich geglaubt, dass über Nacht Gebäude eingestürzt wären, dass sich die Straßen in Trümmer verwandelt hätten, aber ich staune trotzdem über den Strom aus Leuten mit Aktentaschen, über Ladenbesitzer, die ihre Türen aufschließen, und über ein einzelnes Auto, das versucht, sich einen Weg durch eine belebte Straße zu bahnen.
    Es kommt mir so absurd vor, dass sie es nicht wissen , dass sie keine Veränderung oder Erschütterung wahrgenommen haben, obwohl mein Leben doch komplett auf den Kopf gestellt wurde. Auf meinem Weg nach Hause fühle ich mich die ganze Zeit verfolgt, als müsste man die Wildnis an mir riechen, mir am Gesicht ablesen können, dass ich die Grenze überquert habe. Mein Nacken juckt, als würden mich Zweige kitzeln, und ich nehme immer wieder den Rucksack ab, um sicherzugehen, dass keine Blätter oder Kletten daran hängen – nicht, dass es eine Rolle spielen würde, schließlich gibt es auch in Portland Bäume. Aber niemand schaut auch nur in meine Richtung. Es ist kurz vor neun und die meisten Leute sind eilig auf dem Weg zur Arbeit. Verschwommene Gestalten, die normale Dinge tun, die Augen geradeaus gerichtet, ohne das kleine, unscheinbare Mädchen mit dem ausgebeulten Rucksack zu beachten, das sich zwischen ihnen hindurchschiebt.
    Das kleine, unscheinbare Mädchen mit einem Geheimnis, das wie Feuer in ihr brennt.
    Es ist, als hätte meine Nacht in der Wildnis meine Wahrnehmung geschärft. Auch wenn oberflächlich alles gleich aussieht, kommt es mir irgendwie anders vor – richtig fadenscheinig, als könnte man die Hand durch die Gebäude und den Himmel und sogar die Leute stecken. Ich kann mich erinnern, als ich noch ganz klein war und Rachel dabei zusah, wie sie am Strand eine Sandburg baute. Sie muss stundenlang daran gearbeitet haben, mit verschiedenen Bechern und Eimern, um Türme und Kuppeln zu formen. Als sie fertig war, sah die Burg perfekt aus, als wäre sie aus Stein. Aber als die Flut kam, brauchte es nicht mehr als zwei oder drei Wellen, um das Gebilde vollständig aufzulösen. Ich weiß noch, dass ich in Tränen ausbrach und meine Mutter mir ein Eis kaufte, das ich mit Rachel teilen sollte.
    So sieht Portland heute Morgen aus: wie etwas, das Gefahr läuft, sich aufzulösen.
    Ich muss die ganze Zeit daran denken, was Alex immer sagt: Es gibt mehr von uns, als du denkst . Ich werfe jedem Passanten einen Blick zu, suche nach irgendeinem geheimen Zeichen in seinem Gesicht, irgendeinem Ausdruck des Widerstands, aber alle sehen genauso aus wie immer: mitgenommen, gehetzt, genervt, abwesend.
    Als ich nach Hause komme, spült Carol in der Küche das Geschirr. Ich versuche mich an ihr vorbeizustehlen,

Weitere Kostenlose Bücher