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Delirium

Delirium

Titel: Delirium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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schwer, nur meinen Gürtel vor dem Metalldetektor abzunehmen, so sehr zittern meine Hände. Die Wachen in den Grüften wirken ungefähr doppelt so groß wie normale Leute, mit Händen wie Tennisschläger und Brustkörben so breit wie Boote. Und sie tragen alle Waffen. Große Waffen. Ich bemühe mich nach Kräften, nicht vollkommen verängstigt zu wirken, aber es ist gar nicht so einfach, ruhig zu bleiben, wenn man sich vor Riesen mit automatischen Schusswaffen praktisch bis auf die Unterwäsche ausziehen muss.
    Schließlich sind wir durch die Kontrolle. Alex und ich ziehen uns schweigend wieder an und ich bin überrascht – und erfreut –, als es mir sogar gelingt, meine Schnürsenkel selbst zuzubinden.
    Â»Nur Block eins bis fünf«, ruft einer der Wachleute, als Alex mir ein Zeichen macht, ihm den Flur entlang zu folgen. Die Wände sind in einem widerlichen Gelb gestrichen. In einem Wohnhaus oder einem hell beleuchteten Kindergarten oder Büro könnte es freundlich wirken; aber im sporadischen Licht der Neonlampen, die immer wieder summend an- und ausgehen, und mit all den Wasserflecken, Handabdrücken, zerquetschten Insekten und was weiß ich noch allem wirkt es unglaublich deprimierend – wie ein Lächeln aus einem Mund mit schwarzen, verfaulten Zähnen.
    Â»Du hast es gehört«, sagt Alex. Ich nehme an, dass bestimmte Bereiche für Besucher gesperrt sind.
    Ich folge Alex durch einen engen Flur und dann durch noch einen. Die Gänge sind leer und bisher sind wir nicht an Zellen vorbeigekommen, obwohl Stöhnen und Kreischen immer lauter zu uns durchdringt, je öfter wir abbiegen. Es hört sich an wie seltsame Tiergeräusche – Blöken, Muhen und Krächzen –, als würde ein Haufen Leute einen Bauernhof nachmachen. Wir sind offenbar in der Nähe der psychiatrischen Abteilung. Allerdings treffen wir keinen Menschen, keine Krankenschwestern, Wachen oder Patienten. Alles ist so ruhig, dass es beinahe unheimlich ist: kein Laut, abgesehen von diesen schrecklichen Geräuschen, die aus den Wänden zu dringen scheinen.
    Es ist offenbar nicht gefährlich zu reden, daher frage ich Alex: »Woher kennen die dich alle?«
    Â»Ich komme oft hier vorbei«, sagt er, als wäre das eine befriedigende Antwort. Leute kommen nicht in den Grüften »vorbei«. Das hier ist schließlich keine öffentliche Toilette oder der Strand.
    Weil er anscheinend nicht weiter ins Detail gehen möchte, will ich schon nachhaken, als er die Luft ausstößt und sagt: »Mein Vater ist hier. Deshalb.«
    Ich hatte wirklich nicht gedacht, dass mich zu diesem Zeitpunkt noch irgendetwas überraschen könnte, aber das tut es. »Ich dachte, dein Vater sei tot.«
    Alex hat mir erzählt, dass sein Vater gestorben sei, aber er hat sich geweigert, mir Einzelheiten zu verraten. »Er hat nie erfahren, dass er einen Sohn hatte.« Das war das Einzige, was Alex sagte, und ich war davon ausgegangen, dass sein Vater gestorben sei, bevor Alex geboren wurde.
    Vor mir heben und senken sich Alex’ Schultern: ein kleiner Seufzer. »Ist er auch«, sagt er und biegt abrupt rechts ab in einen kurzen Flur, der an einer schweren Eisentür endet. Auch an ihr hängt ein Schild mit großen Buchstaben. Darauf steht: LEBENSLÄNGLICHE . Unter das Wort hat jemand mit einem Stift geschrieben: HAHA .
    Â»Was willst du …« Ich bin verwirrter denn je, aber ich habe keine Zeit, meine Frage zu Ende zu formulieren. Alex schiebt sich durch die Tür hinaus und der Geruch, der uns entgegenschlägt – nach Wind, Gras und Frische –, ist so unerwartet und wohltuend, dass ich aufhöre zu sprechen und dankbar ganz tief einatme. Ohne es zu merken, habe ich die ganze Zeit durch den Mund geatmet.
    Wir stehen in einem kleinen Hof, der auf allen Seiten von den fleckigen grauen Wänden der Grüfte umgeben ist. Das Gras hier ist erstaunlich saftig und fast kniehoch. Ein einzelner Baum windet sich links von uns in die Höhe und ein Vogel zwitschert in seinen Zweigen. Es ist überraschend angenehm hier draußen, friedlich und schön – seltsam, mitten in einem kleinen Garten zu stehen, während man von den massiven Steinmauern des Gefängnisses eingeschlossen ist, als wären wir genau im Auge des Orkans und fänden Frieden und Stille inmitten von so viel kreischender Zerstörung.
    Alex steht mehrere Schritte

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