Delirium
offizielle Miene auf.
»Wir haben gehört, es habe irgendein Problem gegeben, das ist alles.« Die Aussage ist unbestimmt genug und klingt trotzdem plausibel. Alex dreht seinen Ausweis lässig zwischen zwei Fingern. Der Wachmann wirft einen Blick darauf und ich merke, wie er sich entspannt. Glücklicherweise macht er keine Anstalten, sich ihn genauer anzusehen. Alex hat in den Labors nur Sicherheitsstufe eins, was bedeutet, dass er kaum an den Schrank des Hausmeisters darf, geschweige denn, dass er dort oder irgendwo sonst in Portland durch irgendwelche Sperrzonen marschieren könnte, als gehörten sie ihm.
»Hat ja âne Weile gedauert«, sagt der Wachmann ausdruckslos. »Thomas ist seit Monaten weg vom Fenster. Wahrscheinlich besser für die AIK . Das ist nicht die Art von Information, die wir gerne publik machen wollen.« Die AIK ist die Abteilung für Informationskontrolle (oder, wenn man zynisch ist wie Hana, die Abteilung für institutionalisierte Korruption oder die Abteilung für intellektuelle Kapitulation), und ich bekomme Gänsehaut. Irgendwas ist in Block sechs verdammt schiefgelaufen, wenn die AIK hinzugezogen wurde.
»Ach, du weiÃt ja, wie das ist«, sagt Alex. Er hat sich von seinem vorübergehenden Ausrutscher erholt; das Selbstvertrauen und die Unbefangenheit kehren in seine Stimme zurück. »Unmöglich, von irgendjemandem dort eine direkte Antwort zu bekommen.« Wieder eine unbestimmte Aussage, aber der Wachmann nickt nur.
»Wem sagst du das.« Dann zeigt er mit dem Kopf auf mich. »Wer ist das?«
Ich kann spüren, wie er die Haut an meinem Hals anstarrt und feststellt, dass ich noch keine Eingriffsnarbe habe. Wie viele Leute weicht er unwillkürlich zurück â nur ein paar Zentimeter, aber genug, dass das altbekannte Gefühl der Erniedrigung, das Gefühl, irgendwie falsch zu sein, in mir hochkriecht. Ich senke den Blick.
»Sie ist niemand«, sagt Alex, und auch wenn ich weiÃ, dass er das sagen muss , verursacht es mir einen dumpfen Schmerz in der Brust. »Ich soll ihr die Grüfte zeigen, das ist alles. Eine UmerziehungsmaÃnahme, du weiÃt schon.«
Ich halte den Atem an, überzeugt, dass er uns jeden Moment zum Teufel jagen wird, beinahe wünsche ich, er würde es tun. Und doch ⦠direkt hinter dem Hocker des Wachmanns befindet sich eine einzelne Tür aus schwerem, dickem Metall, daneben ein Tastenfeld für den Zahlencode. Es erinnert mich an den Tresorraum unten in der Stadt bei der Central Savings Bank . Durch die Tür kann ich gerade so entfernte Geräusche wahrnehmen â menschliche Geräusche, vermute ich, aber das ist schwer zu sagen.
Meine Mutter könnte hinter dieser Tür sein. Sie könnte dort drin sein. Alex hatte Recht. Ich brauche Klarheit.
Erst jetzt verstehe ich langsam, was Alex gestern Nacht gesagt hat: Es kann sein, dass meine Mutter die ganze Zeit über am Leben war. Während ich atmete, atmete sie auch. Während ich schlief, schlief sie woanders. Wenn ich wach war und an sie dachte, dachte sie vielleicht auch an mich. Es ist überwältigend, wunderbar und überaus schmerzhaft zugleich.
Alex und der Wachmann mustern einander eine Weile. Alex lässt weiterhin seinen Ausweis um einen Finger kreisen, indem er immer wieder das Band daran auf- und abwickelt. Das scheint den Wachmann zu beruhigen.
»Ich kann euch da nicht reinlassen«, sagt er, aber diesmal klingt es entschuldigend. Er lässt seine Waffe sinken und setzt sich wieder auf den Hocker. Ich atme schnell aus; unwillkürlich habe ich die Luft angehalten.
»Du machst nur deinen Job«, sagt Alex, seine Stimme klingt neutral. »Du bist also Thomasâ Nachfolger?«
»Genau.« Der Wachmann wirft mir erneut einen Blick zu und ich kann seine Augen auf meinem unmarkierten Hals spüren. Ich muss mich zurückhalten, um meine Haut nicht mit der Hand abzudecken. Aber offenbar kommt er zu dem Ergebnis, dass wir keine Schwierigkeiten darstellen, denn er schaut zurück zu Alex und sagt: »Frank Dorset. Bin im Februar von Block drei hierher versetzt worden â nach dem Zwischenfall.«
Irgendwas daran, wie er Zwischenfall sagt, jagt mir erneut einen Schauer über den Rücken.
»Heftiger Wechsel, was?« Alex lehnt sich an eine Wand, ein Bild der Beiläufigkeit. Nur ich kann die Anspannung in seiner Stimme wahrnehmen. Er blufft. Er weià nicht, was er
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