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Delirium

Delirium

Titel: Delirium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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müssen, und es ist sogar noch dunkler als im Rest der Grüfte.
    Der Gestank hier übertrifft alles: fürchterlich, modrig, faulig wie an den Müllcontainern im Hafen, dort, wo die ganzen Fischinnereien weggeworfen werden, am heißesten Tag. Sogar Alex flucht und hustet und hält sich die Nase zu.
    Ich kann mir vorstellen, wie Frank hinter mir grinst. »Block sechs hat seinen ganz eigenen Duft«, sagt er.
    Der Lauf seines Gewehrs schlägt beim Gehen hörbar gegen seinen Schenkel. Ich fürchte, dass ich ohnmächtig werden könnte, und am liebsten würde ich die Hand ausstrecken und mich an den Wänden abstützen, aber sie sind von Pilzen und Feuchtigkeit überzogen. Auf beiden Seiten tauchen in regelmäßigen Abständen verriegelte Zellentüren aus Metall auf, mit jeweils einem schmutzigen, tellergroßen Fenster. Durch die Wände hören wir leises Stöhnen, ein ständiges Vibrieren. Es ist irgendwie noch schlimmer als das Kreischen und die Schreie vorhin: Dies ist das Geräusch, das Leute machen, wenn sie bereits vor langer Zeit die Hoffnung aufgegeben haben, dass jemand zuhören könnte, ein reflexhaftes Geräusch, das einfach nur die Zeit, den Raum und die Dunkelheit ausfüllen soll.
    Mir wird bestimmt gleich schlecht. Wenn Alex Recht hat, ist meine Mutter hier hinter einer dieser Türen – so nah, dass ich meine Hand ausstrecken und sie berühren könnte, wenn ich in der Lage wäre, die Atome neu anzuordnen und durch den Stein zu greifen. Näher, als ich es je für möglich gehalten hätte.
    Ich denke alles auf einmal: Sie kann nicht hier sein; es wäre besser, sie wäre tot; ich will sie sehen. Und dann ist da noch dieses andere Wort, dass sich zwischen all den anderen Gedanken hindurchdrängt: Flucht, Flucht, Flucht . Eine Möglichkeit, die zu fantastisch ist, um sie auch nur in Betracht zu ziehen. Wenn meine Mutter diejenige wäre, die geflohen ist, hätte ich das gewusst. Sie wäre zu mir gekommen.
    Block sechs besteht nur aus diesem einen langen Flur. Soweit ich sehe, gibt es ungefähr vierzig Türen, vierzig Einzelzellen.
    Â»So«, sagt Frank. »Die große Führung.« Er hämmert an eine der ersten Türen. »Hier wohnt euer Freund Thomas, wenn ihr mal Hallo sagen wollt.« Dann lacht er wieder sein schreckliches Lachen.
    Ich muss daran denken, was er am Anfang gesagt hat. Er ist jetzt immer hier.
    Alex vor uns antwortet nicht, aber ich meine zu sehen, wie er schaudert.
    Frank stößt mich heftig mit dem Lauf seines Gewehrs in den Rücken. »Und, was hältst du davon?«
    Â»Fürchterlich«, krächze ich. Meine Kehle fühlt sich an, als wäre sie mit Stacheldraht umgeben. Frank scheint erfreut.
    Â»Ich an deiner Stelle würde lieber gehorchen und tun, was man mir sagt«, erklärt er. »Nicht dass du noch so endest wie dieser Typ hier.«
    Wir sind vor einer der Zellen stehen geblieben. Frank weist mit dem Kopf auf das kleine Fenster und ich trete zögernd einen Schritt vor und halte mein Gesicht an die Scheibe. Sie ist so schmutzig, dass sie beinahe undurchsichtig ist, aber wenn ich die Augen zusammenkneife, kann ich ein paar Umrisse in der dunklen Zelle erkennen: ein Bett mit einer dünnen, dreckigen Matratze; eine Toilette, einen Eimer, der aussieht wie ein Hundenapf. Zuerst denke ich, dass da auch noch ein Berg alter Lumpen in der Ecke liegt, bis mir klar wird, dass das der »Typ« ist, den Frank gemeint hat: ein dreckiger, zusammengesunkener Haufen aus Haut, Knochen und abstehenden verfilzten Haaren. Er rührt sich nicht und seine Haut ist so schmutzig, dass sie mit dem Grau der Steinmauern hinter ihm verschmilzt. Wenn seine Augen nicht wären, die ständig hin und her rollen, als suchte er die Zelle nach Insekten ab, käme man nicht auf die Idee, dass er noch lebt. Man käme noch nicht mal auf die Idee, dass er ein Mensch ist.
    Der Gedanke kehrt zurück: Es wäre besser, sie wäre tot. Nicht hier. Überall, nur nicht hier.
    Alex ist weiter den Gang entlanggegangen und ich höre, wie er scharf einatmet. Ich sehe auf. Er steht unbeweglich da und sein Gesichtsausdruck macht mir Angst.
    Â»Was ist?«, frage ich.
    Einen Moment antwortet er nicht. Er starrt etwas an, das ich nicht sehen kann – irgendeine Tür wahrscheinlich. Dann dreht er sich abrupt zu mir um, ein schnelles, krampfhaftes Schütteln.
    Â»Nein«, sagt

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