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Delirium

Delirium

Titel: Delirium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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beiden Mädchen, die er heute bei den Labors getroffen hat, längst vergessen. Wahrscheinlich wollte er nur höflich sein und ein bisschen Small Talk machen.
    Es ist das Beste so. Aber egal, wie häufig ich es wiederhole, das seltsame hohle Gefühl im Bauch geht nicht weg. Und so verrückt es ist, ich werde den hartnäckigen, bohrenden Eindruck nicht los, dass ich etwas vergessen oder übersehen habe oder für immer verloren.

si e ben
    Von allen Funktionssystemen des Körpers ist das kardiologische das empfindlichste. Die Hauptaufgabe der Gesellschaft besteht darin, es vor Infektion und Verfall zu bewahren, denn sonst steht die Zukunft der gesamten menschlichen Spezies auf dem Spiel. Wie eine Sommerfrucht mit Hilfe des ganzen Arsenals der modernen Landwirtschaft vor Schädlingsbefall, Quetschungen und Fäulnis geschützt wird, so müssen wir auch das Herz schützen.
    Â»Rolle und Zweck der Gesellschaft«,
Das Buch Psst
    I ch bin nach Maria Magdalena benannt, die beinahe an der Liebe gestorben wäre. »Mit Deliria infiziert und die gesellschaftlichen Regeln missachtend, verliebte sie sich in Männer, die sie nicht haben wollten oder nicht für sie sorgen konnten« (Das Buch der Klagelieder, Maria 13,1).
    Wir haben in Bibelwissenschaften alles darüber gelernt. Erst kam Johannes, dann Matthäus, dann Jeremia, Petrus und Judas und viele andere namenlose Männer.
    Ihre letzte Liebe war ihre größte, heißt es: ein Mann namens Joseph, der sein ganzes Leben über Junggeselle gewesen war und sie auf der Straße auflas, verletzt, gebrochen und halb wahnsinnig von der Deliria. Es ist umstritten, was für ein Mann Joseph war – ob er rechtschaffen war oder nicht, ob er selbst je der Krankheit verfiel –, aber auf jeden Fall kümmerte er sich gut um sie. Er pflegte sie gesund und versuchte ihr Frieden zu bringen.
    Doch dafür war es bereits zu spät. Ihre Vergangenheit quälte sie, all die gescheiterten, zerstörten Liebschaften, das Übel, das sie anderen zugefügt hatte und das ihr widerfahren war. Sie aß kaum etwas; sie weinte den ganzen Tag; sie klammerte sich an Joseph und flehte ihn an, sie nie zu verlassen, fand jedoch keinen Trost in seiner Güte.
    Und dann wachte sie eines Morgens auf und Joseph war weg – ohne ein Wort oder eine Erklärung. An diesem letzten Verlust zerbrach sie schließlich und sie warf sich zu Boden und flehte Gott an, sie von ihrer Not zu befreien.
    Er erhörte ihre Gebete und in seiner unendlichen Güte erlöste er sie stattdessen vom Fluch der Deliria, die allen Menschen als Strafe für die Sünde Adams und Evas auferlegt worden war. In gewissem Sinne war Maria Magdalena die allererste Geheilte.
    Â»Und so wandelte sie nach Jahren des Leids und des Schmerzes rechtschaffen und in Frieden bis ans Ende ihrer Tage« (Das Buch der Klagelieder, Maria 13,21).
    Ich fand es immer eigenartig, dass mich meine Mutter Magdalena genannt hat. Sie glaubte doch gar nicht an das Heilmittel. Das war ja genau ihr Problem. Und im Buch der Klagelieder geht es die ganze Zeit um die Gefahren der Deliria. Ich habe viel darüber nachgedacht und bin schließlich zu dem Schluss gekommen, dass meine Mutter wohl trotz allem wusste, dass sie falschlag: dass das Heilmittel und der Eingriff das Beste waren. Ich glaube, dass sie bereits damals wusste, was sie tun würde – sie wusste, was passieren würde. Wahrscheinlich war mein Name auf eine gewisse Weise ihr Abschiedsgeschenk für mich. Er war eine Botschaft.
    Ich glaube, sie wollte mir damit sagen: Vergib mir. Irgendwann wird dir sogar dieser Schmerz genommen.
    Seht ihr? Egal, was alle sagen, ich weiß, sie war nicht ganz schlecht.
    In den nächsten zwei Wochen bin ich so beschäftigt wie nie. Der Sommer erfüllt Portland mit aller Macht. Anfang Juni war zwar die Hitze schon da, aber noch nicht die Farbe – die Grüntöne waren blass und zurückhaltend, morgens war es empfindlich kühl –, jetzt, in der letzten Schulwoche, sind die Farben sensationell kräftig: unglaublich blaue Himmel und purpurfarbene Gewitter und pechschwarze Nächte und Blumen so leuchtend rot wie Blutflecken. Jeden Tag ist nach der Schule irgendeine Versammlung oder Zeremonie oder Abschlussparty. Hana wird zu allen eingeladen; ich zu den meisten, was mich überrascht.
    Harlowe Davis – die wie Hana im West End wohnt und deren Vater irgendwas für

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