Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Delirium

Delirium

Titel: Delirium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
Vom Netzwerk:
und versuche die Tränen zurückzuhalten. »Mach heute Abend ruhig, was du willst. Ist mir egal.«
    Vielleicht hat Hana ein schlechtes Gewissen, denn ihre Stimme wird etwas sanfter. »Im Ernst, Lena. Überleg doch, ob du mitkommen willst. Wir kriegen schon keine Probleme, versprochen.«
    Â»Das kannst du nicht versprechen.« Ich hole tief Luft und wünschte, meine Stimme würde aufhören zu zittern. »Das weißt du nicht. Du kannst nicht sicher sein.«
    Â»Und du kannst nicht dauernd solche Angst haben.«
    Das ist es: Das gibt den Ausschlag. Ich wirbele wütend herum, etwas Schwarzes und Urtümliches steigt in mir auf. » Natürlich habe ich Angst. Und zwar zu Recht . Und wenn du keine Angst hast, liegt das nur daran, dass du dein perfektes kleines Leben führst und deine perfekte kleine Familie hast und für dich alles perfekt, perfekt, perfekt ist. Du siehst das nicht. Du kapierst das nicht.«
    Â»Perfekt? Glaubst du das? Glaubst du, mein Leben ist perfekt?« Ihre Stimme ist ruhig, aber voller Wut.
    Ich würde am liebsten vor ihr zurückweichen, aber ich zwinge mich dazu, stehen zu bleiben. »Ja, das glaube ich.«
    Sie stößt erneut ein bellendes Lachen aus, ein kurzer, heftiger Laut. »Du glaubst also, das hier ist es, hm? Mehr kann man nicht erwarten?« Sie dreht sich mit ausgestreckten Armen einmal um sich selbst, so als umarme sie das Zimmer, das Haus, alles.
    Ihre Frage erschreckt mich. »Was denn sonst?«
    Â» Alles , Lena.« Sie schüttelt den Kopf. »Hör zu, ich werde mich nicht entschuldigen. Ich weiß, du hast deine Gründe dafür, ängstlich zu sein. Was mit deiner Mutter passiert ist, ist fürchterlich …«
    Â»Lass meine Mutter da raus.« Mein Körper ist angespannt, wie elektrisiert.
    Â»Aber du kannst sie nicht weiterhin für alles verantwortlich machen. Sie ist seit über zehn Jahren tot.«
    Die Wut verschluckt mich, ein dicker Nebel. Mein Verstand rast wild dahin wie Räder über Eis und stößt wahllos gegen Wörter: Angst. Verantwortlich. Vergiss das nicht. Mom. Ich liebe dich. Und jetzt wird mir klar, dass Hana wirklich eine falsche Schlange ist – sie hat lange darauf gewartet, mir das zu sagen, hat darauf gewartet, sich hereinzuwinden, so tief und schmerzhaft es geht, und zuzubeißen.
    Â»Leck mich.« Das sind die beiden Wörter, die schließlich rauskommen.
    Sie hebt beide Hände. »Hör zu, Lena, ich sage nur, du musst dich davon losmachen. Du bist ihr überhaupt nicht ähnlich. Und du wirst nicht so enden wie sie. Das steckt nicht in dir.«
    Â»Leck mich.« Sie versucht nett zu sein, aber mein Verstand lässt nichts mehr hinein und die Worte kommen von allein, stolpern übereinander, und ich wünschte, jedes einzelne wäre ein Hieb in ihr Gesicht, zackzackzackzack . »Du weißt nicht das Geringste über sie. Und du weißt nichts über mich. Du weißt überhaupt nichts.«
    Â»Lena.« Sie streckt die Hand nach mir aus.
    Â»Fass mich nicht an.« Ich stolpere rückwärts, schnappe mir meine Tasche, stoße gegen ihren Schreibtisch, als ich auf die Tür zugehe. Meine Sicht ist verschwommen und ich kann kaum das Treppengeländer erkennen. Ich strauchele, falle beinahe die Treppe runter, taste mich bis zur Haustür. Ich denke, Hana ruft vielleicht hinter mir her, aber alles wird von einem Dröhnen, einem Rauschen in meinem Kopf übertönt. Sonnenschein, strahlendes, strahlendes weißes Licht – kaltes stechendes Eisen unter meinen Fingern, das Tor –, der Geruch nach Meer, Benzin. Heulen, das immer lauter wird. Ein wiederkehrendes Schmettern: Tuut, tuut, tuut.
    Ganz plötzlich wird mein Kopf wieder klar und ich springe gerade noch rechtzeitig von der Straße, bevor ich von einem Polizeiauto überfahren werde, das mit dröhnender Hupe und jaulender Sirene an mir vorbeibraust und mich hustend inmitten von Dreck und Staub zurücklässt. Meine Kehle schmerzt so stark, dass ich würgen muss, und als ich schließlich den Tränen freien Lauf lasse, ist das eine große Erleichterung, wie wenn man etwas Schweres fallen lässt, nachdem man es lange Zeit getragen hat. Als ich einmal angefangen habe zu weinen, kann ich nicht wieder aufhören, und den ganzen Nachhauseweg über muss ich alle paar Sekunden mit der Handfläche über die Augen reiben und die Tränen wegwischen, damit

Weitere Kostenlose Bücher