Delirium
die Halbinsel verlasse â mich von den Gebäuden und Geschäften im Zentrum von Portland entferne und die AuÃenbezirke erreiche â, werden die Häuser kleiner und stehen weiter auseinander, zurückgesetzt auf ungleichmäÃigen Gärten voller Unkraut. Hier ist es noch nicht richtig bäuerlich, aber es sieht schon mehr nach Landleben aus: Pflanzen, die durch halb verfallene Veranden wachsen, eine Eule, die traurig in der Dunkelheit ruft, eine schwarze Sichel aus Fledermäusen, die plötzlich den Himmel durchschneidet. Vor fast allen diesen Häusern stehen Autos â genau wie vor den reicheren Häusern im West End â, aber diese hier stammen ganz offensichtlich vom Schrottplatz. Sie sind auf Betonblöcken aufgebockt und rostbedeckt. Einem wächst ein Baum genau durch das Sonnendach, als wäre das Auto gerade vom Himmel gefallen und dort aufgespieÃt worden, und bei einem anderen ist kein Motor in der offenen Motorhaube. Als ich vorbeifahre, schreckt eine Katze miauend aus dem schwarzen Hohlraum auf und blinzelt mich an.
Nachdem ich den Fore River überquert habe, verschwinden die Häuser ganz und es reiht sich nur noch Feld an Feld und Farm an Farm. Ihre Namen â Meadow Lane, Sheepsbay und Willow Creek â klingen heimelig und nett, Orte, an denen vielleicht jemand Muffins backt und frische Milch fürs Buttern entrahmt. Aber in Wahrheit gehören die meisten Farmen groÃen Firmen, sind mit Vieh vollgestopft und werden häufig von Waisen betrieben.
Eigentlich mag ich diese Gegend, aber im Dunkeln ist es hier irgendwie unheimlich, so offen und vollkommen ausgestorben, und ich muss daran denken, dass es, wenn jetzt eine Patrouille käme, kein Versteck, keine Gasse gäbe, in die ich abbiegen könnte. Jenseits der Felder sehe ich die niedrigen dunklen Umrisse von Scheunen und Silos, einige davon brandneu, andere stehen kaum noch aufrecht und klammern sich an die Erde, als hätten sie sich mit Zähnen daran festgebissen. In der Luft liegt ein leicht süÃlicher Geruch nach wachsenden Pflanzen und Dung.
Die Roaring Brook Farm liegt direkt an der Südwestgrenze. Sie ist schon seit Jahren verlassen, nachdem das halbe Hauptgebäude und zwei Getreidesilos bei einem Brand zerstört wurden. Ungefähr fünf Minuten bevor ich dort ankomme, meine ich ein kaum wahrnehmbares rhythmisches Hämmern durch das krächzende Lied der Grillen hindurch zu hören, aber eine Weile lang weià ich nicht genau, ob ich es mir nur einbilde oder ob das vielleicht mein Herz ist, das wieder angefangen hat zu wummern. Etwas weiter vorne bin ich mir allerdings sicher. Noch bevor ich den kleinen Weg erreiche, der zur Scheune führt â oder zumindest zu dem Teil der Scheune, der noch steht â, tauchen plötzlich Musikfetzen auf und kristallisieren in der Nachtluft wie Regen, der sich plötzlich in Schnee verwandelt und zu Boden schwebt.
Jetzt habe ich wieder Angst. Das Einzige, was ich denken kann, ist: falsch, falsch, falsch, das Wort hämmert in meinem Kopf. Tante Carol würde mich umbringen, wenn sie wüsste, was ich hier tue. Mich umbringen oder mich in die Grüfte werfen lassen oder ins Labor schleppen, um den Eingriff vorzuziehen, so wie bei Willow Marks.
Als ich die Abzweigung nach Roaring Brook sehe und das groÃe Metallschild, das im Boden steckt: STÃDTISCHES EIGENTUM , BETRETEN VERBOTEN , steige ich vom Fahrrad. Ich schiebe es ein Stückchen in den Wald neben der StraÃe. Das Farmhaus selbst und die alte Scheune sind immer noch hundertfünfzig bis zweihundert Meter entfernt, aber ich will mein Rad nicht weiter mitnehmen. Allerdings schlieÃe ich es auch nicht ab. Sollte es eine Razzia geben â was Gott verhüten mag â, will ich nicht im Halbdunkel an einem Schloss rumfummeln müssen. Dann muss es schnell gehen.
Ich gehe um das BETRETEN VERBOTEN -Schild herum. Ich bin schon zu einer richtigen Expertin im Missachten von Schildern geworden und muss daran denken, wie Hana und ich über das Tor bei den Labors geklettert sind. Es ist seit langem das erste Mal, dass ich wieder an diesen Nachmittag denke, und gleich darauf steigt ein Bild von Alex vor mir auf, eine Erinnerung an ihn, wie er lachend mit zurückgelegtem Kopf auf der Tribüne steht.
Ich muss mich auf die Landschaft um mich herum konzentrieren, die Helligkeit des Mondes, die Wildblumen an der StraÃe. So kann ich das Gefühl, mich
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