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Delirium

Delirium

Titel: Delirium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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gekommen, als ich dachte, und wenigstens folgt Alex mir nicht. Meine Angst lässt nach und der Knoten in meiner Brust löst sich. Die nächste Welle ist so kräftig, dass sie mich über einen steilen Unterwassergrat hinweghebt und mich in weichem Sand auf die Knie wirft. Als ich mich aufrappele, geht mir das Wasser nur noch bis zur Taille und ich wate den restlichen Weg zurück zum Ufer, schlotternd, dankbar, erschöpft.
    Meine Schenkel zittern. Keuchend und hustend breche ich auf dem Strand zusammen. Nach den farbigen Flammen zu schließen, die am Himmel über Back Cove hinaufzüngeln – Orange, Rot, verschiedene Rosatöne –, muss es kurz vor Sonnenuntergang sein, wahrscheinlich etwa acht. Ein Teil von mir würde sich am liebsten einfach hinlegen, die Arme ausbreiten, sich ausstrecken und die ganze Nacht durchschlafen. Ich habe das Gefühl, dass ich die Hälfte meines Körpergewichts an Salzwasser geschluckt habe. Meine Haut brennt und überall ist Sand, in meinem BH , meiner Unterhose, zwischen meinen Zehen und unter meinen Fingernägeln. Was auch immer da im Wasser an meinem Schienbein entlanggekratzt hat, hat eine Spur hinterlassen: ein langes Blutrinnsal schlängelt sich über meinen Unterschenkel.
    Ich sehe auf und einen kurzen, angstvollen Moment kann ich Alex nicht bei den Bojen entdecken. Mein Herz setzt aus. Dann sehe ich ihn, ein dunkler Punkt, der schnell durchs Wasser zieht. Er lässt die Arme beim Schwimmen anmutig kreisen. Er ist schnell. Ich komme auf die Beine, schnappe mir meine Schuhe und humpele zu meinem Fahrrad. Ich bin so erschöpft, dass es eine Weile dauert, bis ich die Balance halten kann, und erst schwanke ich in verrückten Schlangenlinien hin und her wie ein Kleinkind, das gerade Fahrradfahren lernt.
    Ich blicke nicht ein einziges Mal zurück, bevor ich an unserem Gartentor angelangt bin. Inzwischen sind die Straßen leer und ruhig, die Nacht bricht bald an, die Ausgangssperre wird sich gleich um uns legen wie eine riesige warme Umarmung. Sie sorgt dafür, dass wir alle an unserem Platz sind, in Sicherheit.

elf
    Seht es mal so: Wenn es draußen kalt ist und ihr mit den Zähnen klappert, packt ihr euch mit Wintermantel, Schals und Fäustlingen warm ein, damit ihr euch nicht erkältet. Nun, die Grenzen sind wie Hüte, Schals und Wintermäntel für das ganze Land! Sie halten die allerschlimmsten Krankheiten ab, damit wir gesund bleiben!
    Aber etwas gab es nach der Errichtung der Grenzen für den Präsidenten und das Konsortium noch zu erledigen, bevor wir alle in Sicherheit waren und glücklich werden konnten. Die große Hygiene * (manchmal auch »Die Offensive« genannt) dauerte nicht mal einen Monat, aber anschließend waren alle wilden Gebiete krankheitsfrei. Wir hatten uns mit ein wenig altmodischer Muskelkraft dahin aufgemacht und schrubbten die Problemstellen einfach weg, genau wie wenn eure Mutter den Küchentisch mit einem Schwamm abwischt, kinderleicht …
    * Hygiene
    1. Die Durchführung von Maßnahmen im Dienste von Sauberkeit und Gesundheit, dazu gehören auch Abwasser- und Müllentsorgung
    2. Gesundheitslehre
    Auszug aus:
Dr. Richards Geschichtsbuch für Kinder, 1. Kapitel
    N och ein Geheimnis über meine Familie: Mehrere Monate vor ihrem geplanten Eingriff bekam meine Schwester Deliria. Sie verliebte sich in einen Jungen namens Thomas, der ebenfalls ungeheilt war. Ganze Tage lang lagen Thomas und sie in einer Wildblumenwiese, schirmten ihre Augen gegen die Sonne ab und flüsterten sich Versprechen zu, die nie gehalten werden konnten. Rachel weinte die ganze Zeit und einmal gestand sie mir, dass Thomas gerne ihre Tränen wegküsste. Noch heute, wenn ich an diese Zeit zurückdenke – ich war damals erst acht – , denke ich an den Geschmack von Salz.
    Die Krankheit arbeitete sich langsam immer tiefer in sie hinein, ein Tier, das sie von innen auffraß. Meine Schwester konnte nichts essen. Das wenige, zu dem wir sie überreden konnten, kam genauso schnell wieder hoch, wie sie es geschluckt hatte, und ich fürchtete um ihr Leben.
    Thomas brach natürlich ihr Herz, was niemanden überraschte. Im Buch Psst heißt es: »Amor deliria nervosa bewirkt Veränderungen im präfrontalen Cortex des Gehirns und ruft dadurch Fantasien und Wahnvorstellungen hervor, die im fortgeschrittenen Krankheitsstadium Verzweiflungszustände nach sich ziehen.« (siehe

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