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Delirium

Delirium

Titel: Delirium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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immer, das sei Zeitverschwendung. Da draußen gebe es nichts weiter als Tiere und Land und Insekten, all das Gerede über die Invaliden sei nur erfunden, nur Kinderkram. Sie sagt, an die Invaliden zu glauben, sei dasselbe, wie an Werwölfe oder Vampire zu glauben. Weißt du noch, wie die Leute früher immer gesagt haben, es gebe Vampire in der Wildnis?«
    Alex lächelt, aber wieder ist es eher ein Zusammenzucken. »Lena, ich muss dir was sagen.« Seine Stimme klingt jetzt etwas fester, aber irgendetwas in seinem Tonfall macht mir Angst und ich will ihn nicht zu Wort kommen lassen.
    Ich kann einfach nicht mehr aufhören zu reden. »Hat es wehgetan? Der Eingriff, meine ich. Meine Schwester hat gesagt, es sei keine große Sache gewesen, nicht mit den ganzen Schmerzmitteln, die sie einem geben, aber meine Cousine Marcia meinte, es sei schlimmer als alles andere, schlimmer als eine Geburt, obwohl es bei ihrem zweiten Kind ungefähr fünfzehn Stunden gedauert hat, bis es endlich da war …« Ich breche ab und werde rot, verwünsche mich in Gedanken für die alberne Wendung des Gesprächs. Ich wünschte, ich könnte zur Party gestern Nacht zurückspulen, als mein Gehirn ganz leer war; es ist, als hätte ich die Wörter für einen Anfall von verbalem Erbrechen aufgespart. »Ich habe aber keine Angst«, schreie ich beinahe, als Alex erneut den Mund aufklappt, um etwas zu sagen. Ich will die Situation verzweifelt irgendwie retten. »Bis zu meinem Eingriff ist es nicht mehr lang. Sechzig Tage. Ganz schön bescheuert, hm? Dass ich zähle. Aber ich kann’s kaum erwarten.«
    Â»Lena.« Alex’ Stimme ist jetzt stärker, kräftiger und bringt mich schließlich zum Schweigen. Er dreht sich zu mir, so dass wir uns direkt gegenüber stehen. In diesem Moment hebt sich mein Fuß vom Sandboden ab. Das Wasser reicht mir schon bis zum Hals. Die Flut steigt schnell. »Hör zu. Ich bin nicht der … für den du mich hältst.«
    Ich muss mich anstrengen, um stehen zu bleiben. Plötzlich zieht und zerrt die Strömung an mir. So kam es mir schon immer vor. Das Wasser läuft langsam ab, kommt aber schnell zurück. »Was soll das heißen?«
    Seine Augen – abwechselnd golden und bernsteinfarben, die Augen eines Tieres – mustern mein Gesicht, und ohne zu wissen, warum, habe ich wieder Angst. »Ich bin nicht geheilt«, sagt er. Einen Augenblick schließe ich die Augen und stelle mir vor, ich hätte mich verhört, stelle mir vor, ich hätte nur das leise Plätschern der Wellen für seine Stimme gehalten. Aber als ich die Augen wieder aufschlage, steht er immer noch da und starrt mich an, er sieht schuldbewusst aus und noch irgendwie anders – traurig vielleicht? – und ich weiß, dass ich richtig gehört habe. Er sagt: »Bei mir wurde der Eingriff nicht gemacht.«
    Â»Du meinst, es hat nicht funktioniert?«, frage ich. Mein Körper kribbelt, wird ganz taub, und erst da wird mir bewusst, wie kalt es ist. »So wie bei meiner Mutter?«
    Â»Nein, Lena. Ich …« Er sieht blinzelnd weg und sagt leise: »Ich weiß nicht, wie ich dir das erklären soll.«
    Von meinen Fingerspitzen bis zu meinen Haarwurzeln fühle ich mich jetzt wie mit Eis überzogen. Unzusammenhängende Bilder gehen mir im Kopf herum, ein Film in einer Endlosschleife: Alex, der auf der Tribüne steht, seine Haare wie eine Blätterkrone; wie er seinen Kopf dreht und die ordentliche dreizackige Narbe genau neben seinem linken Ohr zeigt; wie er die Hand nach mir ausstreckt und sagt: Ich bin immun. Ich werde dir nichts tun. Die Wörter fangen wieder an, aus mir herauszusprudeln, aber ich spüre sie nicht, spüre kaum etwas. »Es hat nicht funktioniert und du hast es niemandem gesagt. Hast gelogen, damit du weiter studieren kannst, Arbeit findest, eine Partnerin ausgewählt und zugeteilt bekommst und all das. Aber in Wirklichkeit bist du nicht … du bist immer noch … du könntest immer noch …« Ich bringe es nicht über mich, das Wort zu sagen. Krank. Ungeheilt. Elend. Ich habe das Gefühl, mir wird gleich ganz elend.
    Â»Nein.« Alex’ Stimme ist so laut, dass ich einen Schreck bekomme. Ich trete einen Schritt zurück, meine Füße rutschen auf dem glitschigen und unebenen Meeresgrund aus und ich gehe beinahe unter, aber als Alex eine Bewegung macht, um mich zu

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