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Delirium

Delirium

Titel: Delirium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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weg und einsam, dass man sie mit etwas anderem verwechseln könnte – mit Eulen vielleicht, die friedlich in ihren Bäumen rufen. Dann nimmt Alex meine Hand und wir rennen wieder los. Jeder Schritt mit meinem rechten Fuß ist wie Feuer. Ich beiße mir von innen in die Wange, um nicht aufzuschreien, und schmecke Blut.
    Chaos. Szenen aus der Hölle: Scheinwerfer von der Straße, stürzende Schatten, brechende Knochen, Stimmen, die zerspringen und sich in Schweigen auflösen.
    Â»Hier rein.«
    Ohne zu zögern, tue ich, was er sagt. In der Dunkelheit ist wundersamerweise ein kleiner hölzerner Schuppen aufgetaucht. Er fällt beinahe auseinander und ist so von Moos und Weinranken überwuchert, dass er selbst aus nächster Nähe aussieht wie ein Gewirr aus Sträuchern und Bäumen. Ich muss mich bücken, um hineingehen zu können, und drinnen ist der Geruch nach Tierurin und nassem Hund so stark, dass ich beinahe würgen muss. Alex kommt hinter mir rein und schließt die Tür. Ich höre ein Rascheln und sehe, wie er sich hinkniet und eine Decke in den Spalt zwischen der Tür und dem Boden stopft. Die Decke muss die Quelle des Gestanks sein. Sie stinkt wirklich fürchterlich.
    Â»Puh«, flüstere ich, das Erste, was ich zu ihm sage, und halte mir die Hand vor Mund und Nase.
    Â»So können die Hunde uns nicht wittern«, gibt er nüchtern zurück.
    Ich habe in meinem ganzen Leben noch niemanden kennengelernt, der derart ruhig bleiben kann. Mir kommt kurz der Gedanke, dass die Geschichten, die ich als Kind gehört habe, vielleicht doch wahr sind – vielleicht sind Invaliden wirklich Monster, Freaks.
    Dann schäme ich mich. Er hat mir gerade das Leben gerettet.
    Mich vor den Aufsehern gerettet. Vor denjenigen, die uns eigentlich beschützen und für unsere Sicherheit sorgen sollen. Die uns eigentlich vor Leuten wie Alex schützen sollen.
    Nichts ergibt mehr einen Sinn. Mein Kopf dreht sich und ich bin ganz benommen. Ich stolpere, stoße gegen die Wand und Alex greift nach mir, damit ich nicht das Gleichgewicht verliere.
    Â»Setz dich hin«, sagt er in demselben Befehlston, den er die ganze Zeit über benutzt hat. Es ist tröstlich, auf seine leisen, bestimmten Anweisungen zu hören. Ich lasse mich auf den Boden gleiten. Der Untergrund ist feucht und rau. Der Mond muss durch die Wolken gebrochen sein; Ritzen in den Wänden und im Dach lassen kleine Flecken silbrigen Lichts herein. Ich kann gerade so ein paar Regalbretter hinter Alex’ Kopf ausmachen, einen Stapel Dosen – Farbe vielleicht? – in einer Ecke. Jetzt, wo wir beide sitzen, ist kaum noch Platz, um sich zu bewegen – der ganze Raum ist nur etwa einen Meter breit.
    Â»Ich seh mir mal dein Bein an, okay?« Er flüstert immer noch. Ich nicke. Selbst im Sitzen lässt meine Benommenheit nicht nach.
    Er kniet sich hin und zieht mein Bein auf seinen Schoß. Erst als er mein Hosenbein hochkrempelt, merke ich, wie nass der Stoff an meiner Haut ist. Offenbar blute ich. Ich beiße mir auf die Lippe und presse meinen Rücken fest gegen die Wand, erwarte, dass es wehtun wird, aber seine Hände auf meiner Haut zu spüren – kühl und stark – dämpft irgendwie alles, schiebt den Schmerz zur Seite wie eine Mondfinsternis, die den Mond mit einem dunklen Fleck überzieht.
    Sobald er meine Hose bis zum Knie hochgekrempelt hat, dreht er mich etwas zur Seite, damit er meine Wade sehen kann. Ich stütze mich mit einem Ellbogen auf den Boden, trotzdem ist mir, als würde der Raum schwanken. Ich muss ziemlich stark bluten.
    Er atmet heftig aus, ein kurzes Geräusch zwischen seinen Zähnen hindurch.
    Â»Ist es schlimm?«, frage ich und traue mich nicht hinzusehen.
    Â»Halt still«, sagt er. Und ich weiß, dass es schlimm ist, er es mir aber nicht sagen wird, und in diesem Moment durchströmt mich solche Dankbarkeit ihm gegenüber und solcher Abscheu gegenüber den Leuten da draußen – Jäger, Primitive, mit ihren scharfen Zähnen und schweren Stöcken –, dass die ganze Luft aus mir entweicht und ich mühsam nach Atem ringe.
    Ohne mein Bein von seinem Schoß zu nehmen, streckt Alex die Hand in eine Ecke des Schuppens aus. Er fummelt an irgendeiner Kiste herum und ein Metallverschluss geht quietschend auf. Kurz darauf beugt er sich mit einer Flasche über mein Bein.
    Â»Das brennt jetzt kurz«, sagt

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