Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
Peinigers befreit. Wir sind dann nach dem Belad el Arab gekommen, und was wir da erlebten, das habt ihr bereits erfahren und seid auch Zeuge davon gewesen. Er ist dann mit Hanneh, deiner Enkelin, nach Mekka geritten. Sie ist zum Schein sein Weib geworden, und er hat sich unterschrieben, daß er sie wieder hergeben werde. Nun aber hat Allah ihre Herzen geleitet, daß sie einander lieb gewannen und nie wieder von einander scheiden möchten. Du bist Hadschi Malek Iffandi Ibn Achmed Chadid el Eini Ben Abul Ali el Besami Abu Schehab Abdolatif el Hanifi, der weise und tapfere Scheik dieser Söhne der Ateïbeh. Deine Einsicht wird dir sagen, daß ich einen solchen Begleiter, wie Halef ist, nicht gern von mir lasse; aber ich wünsche, daß er glücklich sei, und daher richte ich die Bitte an dich, ihn in den Stamm der Ateïbeh aufzunehmen und den Vertrag zu zerreißen, in welchem er dir versprochen hat, sein Weib zurückzugeben. Ich weiß, daß du mir diese Bitte erfüllen wirst, und ich werde, wenn ich einst in meine Heimat zurückgekehrt bin, deinen Ruhm und den Ruhm der Deinen verbreiten im ganzen Abendlande. Sallam!«
Alle hatten mir aufmerksam zugehört. Malek antwortete:
»Effendi, ich weiß, daß du ein berühmter Emir der Nemsi bist, obgleich euere Namen so kurz sind, wie die Klinge eines Frauenmessers. Du bist ausgegangen wie ein Sultan, welcher unerkannt große Thaten verrichtet, und noch die Kinder unserer Kinder werden von deinem Heldentum erzählen. Hadschi Halef Omar ist bei dir wie ein Wessir, dessen Leben seinem Sultan gehört, und ihr seid in unsere Zelte gekommen, um uns große Ehre zu bereiten. Wir lieben dich und ihn – und wir werden unsere Stimmen vereinigen, um ihn zum Sohne unseres Stammes zu machen. Auch werde ich mit seinem Weibe sprechen, und wenn sie bei ihm bleiben will, so werde ich den Vertrag zerreißen, wie du es erbeten hast; denn er ist ein tapferer Krieger, welcher Abu-Seïf, den Dieb und Räuber, getötet hat. Jetzt aber erlaube uns, ein Mahl zu bereiten, um den Tod des Feindes zu feiern und dann die Beratung in würdiger Weise vorzunehmen. Du bist unser Freund und Bruder, obgleich du einen anderen Glauben hast, als wir. Sallam, Effendi!«
Achtes Kapitel. Am Tigris .
»Schrecklich wird der Herr über sie sein; denn er wird alle falschen Götter vertilgen, und es sollen ihn anbeten alle Inseln der Heiden, ein jeglicher an seinem Ort. Und er wird seine Hand ausstrecken über Mitternacht, um Assur umzubringen. Niniveh wird er öde machen und so dürre wie eine Wüste, daß darinnen sich lagern werden allerlei Tiere der Heidenländer; auch Rohrdommeln und Kormorans werden wohnen auf den Türmen und in den Fenstern singen, und die Raben auf den Balken, denn die Öde wird auf den Schwellen sein. Das ist die lustige Stadt, die so sicher war und bei sich sprach: ich bin es und keine mehr. Wie ist sie so wüste geworden, daß die wilden Tiere darinnen wohnen? Wer an ihr vorübergeht, der pfeift sie aus und klatscht mit den Händen über sie!« –
An diese Worte des Propheten Zephanja mußte ich denken, als wir unser Boot beim letzten Schimmer des Tages an das rechte Ufer des Tigris legten. Die ganze Gegend rechts und links vom Strome ist ein Grab, eine große, ungeheuere, öde Begräbnisstätte. Die Ruinen des alten Rom und Athen werden vom Strahle der Sonne erleuchtet, und die Denkmäler des einstigen Ägypten ragen als gigantische Gestalten zum Himmel empor. Sie reden verständlich genug von der Macht, dem Reichtume und dem Kunstsinne jener Völker, welche sie errichtet haben. Hier aber, an den beiden Strömen Euphrat und Tigris, liegen nur wüste Trümmerhaufen, über welche der Beduine achtlos dahinreitet, wohl ohne nur zu ahnen, daß unter den Hufen seines Pferdes die Jubel und die Seufzer von Jahrtausenden begraben liegen. Wo ist der Turm, welchen die Menschen im Lande Sinear bauten, als sie zu einander sprachen: »Kommt, lasset uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reicht, damit wir uns einen Namen machen!« –? Sie haben Stadt und Turm gebaut, aber die Stätte ist verwüstet. Sie wollten sich einen Namen machen, aber die Namen der Völker, welche diese Stadt nacheinander bewohnten und in dem Turme ihren sündigen Gottesdienst verübten, und die Namen der Dynasten und Statthalter, welche hier im Golde und im Blute von Millionen wühlten, sie sind verschollen und können mit größter Mühe und von unseren besten Forschern kaum noch erraten
Weitere Kostenlose Bücher