Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
ihr die Gefangenen bewahren?«
»Bis sie zurückkehren dürfen.«
»Und wann soll dies geschehen?«
»So bald wie möglich; wir hätten nichts zu essen für dieses Heer von Freunden und Feinden.«
»Siehst du, daß ich recht habe? Ein Freudenfest soll gefeiert werden, aber erst dann, wenn wir Zeit dazu haben. Zunächst ist es notwendig, daß sich die Scheiks versammeln, um über alles zu sprechen, was beschlossen werden muß, und dann müssen die Beschlüsse schleunigst ausgeführt werden. Sage den Scheiks, daß sechstausend Menschen nicht viele Tage hier beisammen sein dürfen!«
Er ging. Nun trat Lindsay heran.
»Herrlicher Sieg! Nicht?« meinte er.
»Sehr!«
»Wie meine Sache gemacht, Sir?«
»Ausgezeichnet!«
»Schön! Hm! Viele Menschen hier.«
»Man sieht es.«
»Ob wohl einige darunter sind, die wissen, wo Ruinen liegen?«
»Möglich; man müßte sich einmal erkundigen.«
»Fragt einmal, Sir!«
»Sobald es möglich ist, ja.«
»Jetzt gleich, sofort!«
»Verzeiht, Sir, ich habe jetzt keine Zeit. Vielleicht ist meine Anwesenheit bei der Beratung nötig, welche jetzt beginnen wird.«
»Schön! Hm! Aber nachher fragen! Wie?«
»Sicher!«
Ich ließ ihn stehen und schritt zu den Zelten.
Dort fand ich reichliche Arbeit, da vieles an den Verbänden zu verbessern war. Als ich dies besorgt hatte, trat ich in jenes Zelt, in welchem die Scheiks ihre Besprechung hielten. Diese ging sehr lebhaft vor sich. Man konnte sich schon im Prinzip nicht einigen, und ich glaube, daß ich ihnen willkommen kam.
»Du wirst uns Auskunft geben, Hadschi Emir Kara Ben Nemsi,« sagte Malek. »Du bist in allen Ländern der Erde gewesen und weißt, was recht und vorteilhaft ist.«
»Fragt, ich werde antworten!«
»Wem gehören die Waffen der Besiegten?«
»Dem Sieger.«
»Wem ihre Pferde?«
»Dem Sieger.«
»Wem ihre Kleider?«
»Die Räuber nehmen sie ihnen, der wahre Gläubige aber läßt sie ihnen.«
»Wem gehört ihr Geld, ihr Schmuck?«
»Der wahre Gläubige nimmt nur ihre Waffen und ihre Pferde.«
»Wem gehören ihre Herden?«
»Wenn sie nichts weiter besitzen als ihre Herden, so gehören sie ihnen, aber sie haben die Kosten des Krieges und den jährlichen Tribut davon zu bezahlen.«
»Du sprichst wie ein Freund unserer Feinde. Wir haben sie besiegt, und nun gehört uns ihr Leben und alles, was sie besitzen.«
»Ich rede als ihr Freund und als der eurige. Du sagst, daß ihr Leben euch gehöre?«
»So ist es.«
»Wollt ihr es ihnen nehmen?«
»Nein. Wir sind keine Henker und keine Mörder.«
»Und doch nehmt ihr ihnen ihre Herden? Können sie leben ohne die Herden?«
»Nein.«
»Wenn ihr ihnen die Herden nehmt, so nehmt ihr ihnen also das Leben. Ja, ihr beraubt euch in diesem Falle selbst!«
»Wie?«
»Sie sollen euch in Zukunft Tribut bezahlen?«
»Ja.«
»Wovon? Kann ein Beni-Arab Tribut bezahlen, wenn er keine Herden hat?«
»Dein Mund spricht weise und verständig.«
»Hört weiter! Wenn ihr ihnen alles nehmt: ihre Kleider, ihre Kostbarkeiten, ihre Herden, so zwingt ihr sie, zu stehlen und zu rauben, damit sie nicht verhungern. Und wo werden sie stehlen? Bei ihrem Nachbar zunächst; das seid ihr. Wo werden sie rauben? Bei dem zuerst, der sie arm gemacht hat und zum Rauben zwingt, und das seid ihr. Was ist besser, Freunde zum Nachbar zu haben oder Räuber?«
»Das erstere.«
»So macht sie zu euren Freunden und nicht zu Räubern! Man nimmt dem Besiegten nur das, womit er schaden kann. Wenn ihr ihnen die Waffen und die Pferde nehmt, so erhaltet ihr zehntausend Stück verschiedene Waffen und dreitausend Pferde. Ist dies wenig?«
»Es ist viel, wenn man es sich recht bedenkt.«
»Sie haben dann weder Waffen noch genug Pferde mehr, um Krieg zu führen. Ihr werdet sie beherrschen, und sie werden sich unter euren Schutz begeben müssen, um gegen ihre anderen Feinde gerüstet sein zu können; dann werden sie euch auch gegen eure Feinde helfen müssen. Ich habe gesprochen!«
»Du sollst noch mehr sprechen! Wie viel nimmt man ihnen heute von ihren Herden?«
»So viel wie der Schaden beträgt, den euch ihr Überfall gemacht hat.«
»Und wie viel fordert man Tribut von ihnen?«
»Man macht eine solche Forderung, daß sie immer so viel behalten, um ohne große Not leben zu können. Ein kluger Scheik hätte dabei darauf zu sehen, daß sie nicht wieder mächtig genug werden, um die Niederlage vergelten zu können.«
»Nun bleibt die Blutrache übrig. Wir haben mehrere der ihrigen
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