Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
welche Ali Bey ausgestellt hatte.
»Herr,« meldete er ihm, »wir haben uns zurückgezogen, denn die Türken sind bereits in Baadri. In einer Stunde sind sie hier.«
»Kehre zurück und sage den Deinen, daß sie immer in der Nähe der Türken bleiben, sich aber von ihnen nicht sehen lassen sollen!«
Wir gingen vor das Haus. Die Frauen und Kinder zogen an uns vorüber und verschwanden hinter dem Heiligthume. Da kam ein zweiter Bote athemlos gelaufen und meldete:
»Herr, die Türken haben Kaloni längst verlassen und marschiren durch die Wälder. In einer Stunde können sie hier sein.«
»Postirt Euch jenseits des ersten Thales und zieht Euch, wenn sie kommen, zurück. Die Unserigen werden Euch oben erwarten!«
Der Mann kehrte zurück, und der Bey entfernte sich auf einige Zeit. Ich stand am Hause und sah auf die Gestalten, die an mir vorüberzogen. Als die Frauen und Kinder vorbei waren, schlossen sich ihnen lange Reihen von Männern an, zu Fuße und zu Pferde; aber sie verschwanden nicht hinter dem Heiligthume, sondern erstiegen die nach Baadri und Kaloni gelegenen Höhen, um den Türken das Thal freizugeben. Es war ein eigenthümliches Gefühl, welches ich beim Anblick dieser dunklen Gestalten empfand. Ein Licht nach dem andern wurde ausgeblasen; eine Fackel nach der andern erlosch, und nur das Grabmal mit seinen beiden Thürmen streckte seine flammende Doppelzunge noch immer zum Himmel empor. Ich war allein hier. Die Angehörigen des Bey waren fort; der Buluk Emini schlief droben auf der Plattform, und Halef war noch nicht zurück. Da aber hörte ich den Galopp eines Pferdes. Halef sprengte heran. Als er absaß, erdröhnten von unten herauf zwei starke, krachende Schläge.
»Was war das, Halef?«
»Die Bäume stürzen. Ali Bey hat befohlen, sie zu fällen, um unten das Thal zu schließen und die Kanonen gegen einen Angriff der Türken zu schützen.«
»Das ist klug gehandelt! Wo sind die Andern von den Zwanzig?«
»Sie mußten auf Befehl des Bey bei den Geschützen zurückbleiben, und er hat außerdem noch dreißig andere Männer zu ihrer Bedeckung beordert.«
»Also zusammen fünfzig Mann. Diese könnten schon einen Angriff aushalten.«
»Wo sind die Gefangenen?« frug Halef.
»Bereits fort unter Aufsicht.«
»Und diese Männer hier ziehen schon zum Kampfe?«
»Ja.«
»Und wir?«
»Bleiben hier zurück. Ich bin begierig, die Gesichter der Türken zu sehen, wenn sie bemerken, daß sie in die Falle gerathen sind.«
Dieser Gedanke schien Halef zu befriedigen, so daß er nicht über unser Hierbleiben murrte. Er mochte sich auch sagen, daß dieses Bleiben wohl gefährlicher sei, als der Anschluß an die Streiter.
»Wo ist Ifra?« frug Halef noch.
»Er schläft auf der Plattform.«
»Er ist ein Ujkudischi, Sihdi, und darum wird ihm sein Hauptmann den Esel gegeben haben, welcher die ganze Nacht hindurch schreit. Weiß er bereits etwas von dem, was geschehen wird?«
»Ich glaube nicht. Er soll auch nicht wissen, wie weit wir dabei betheiligt waren; verstehst Du?«
Da kam Ali Bey noch einmal zurück, um sein Pferd zu holen. Er machte mir noch allerlei Vorstellungen, welche aber nichts fruchteten, und so war er gezwungen, mich zu verlassen. Er that dies mit dem herzlichsten Wunsche, daß mir nichts Böses geschehen möge, und versicherte wiederholt, er würde alle fünfzehnhundert Türken niederschießen lassen, wenn ich von ihnen ein Leid erdulden müsse. Zuletzt bat er mich, das große weiße Tuch, welches in der Stube hing, auf die Plattform des Hauses, welche er von der Höhe ganz gut überblicken konnte, zu legen, zum Zeichen, daß ich mich wohl befinde. Sollte das Tuch fortgenommen werden, so werde er schließen, daß ich mich in Gefahr befinde, und werde sofort dem gemäß handeln.
Nun stieg er auf und ritt davon, der Letzte von all’ den Seinen.
Der Tag begann zu grauen; der Himmel lichtete sich, und wenn man zu ihm emporblickte, vermochte man bereits die einzelnen Äste der Bäume zu unterscheiden. Droben an der gegenüberliegenden Thalwand verhallten die Hufschläge von Ali Bey’s Pferd. Ich war nun, da auch mein Dolmetscher mich verlassen mußte, mit den beiden Dienern ganz allein in jenem viel besprochenen Thale eines geheimnißvollen und auch jetzt mir immer noch räthselhaften Cultus. Allein? Ganz Allein? War es wirklich so, oder hörte ich nicht Schritte dort in dem kleinen El Schems geweihten Hause?
Eine lange, weiße Gestalt trat hervor und blickte sich um. Da sah sie mich und
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