Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
feindselig behandeln und wir verwunden oder töten Einen von ihnen, so sind wir verloren; denn sie sind mehr als fünfmal so stark als wir.«
»Was aber tun?« fragte er.
»Zunächst unsern Weg fortsetzen und, wenn sie uns daran hindern sollten, verhandeln.«
Ich sagte das alles auch den Übrigen, und sie gaben mir Recht, obgleich kein Feigling unter ihnen war. Diese Kurden gehörten sicher nicht alle zum Dorfe, das keine solche Anzahl erwachsener Krieger haben konnte; sie waren jedenfalls aus irgend einem Grunde hier zusammengekommen, und es schien, daß sie sich in einer sehr kriegerischen Stimmung befänden. Sie lösten jetzt den Kreis auf und bildeten nun einen scheinbar ungeordneten Haufen, der sich nicht von der Stelle bewegte und unsern Entschluß abzuwarten schien.
»Sie wollen uns den Weg versperren,« meinte Mohammed, der Häuptling der Haddedihn.
»Es scheint so,« stimmte ich ihm bei. »Also gebraucht die Waffen nicht, so lange wir uns nicht in wirklicher Lebensgefahr befinden!«
»Wir wollen einen weiten Kreis um das Dorf herum reiten,« schlug mein kleiner arabischer Diener Halef vor.
»Das müssen wir auch. Kommt!«
Wir schwenkten in einem Bogen ab, aber sogleich setzten sich die Kurden auch in Bewegung, und der Anführer kam wieder auf mich zugeritten.
»Wo willst Du hin?« frug er.
»Nach Gumri,« antwortete ich mit Nachdruck.
Meine Antwort mochte dem Kurden-Anführer nicht nach Wunsch sein, und er entgegnete:
»Es ist zu weit, und die Nacht bricht ein. Ihr werdet Gumri nicht erreichen.«
»Wir werden andere Dörfer finden oder im Freien schlafen.«
»Da werden Euch die wilden Thiere anfallen, und Ihr habt schlechte Waffen.«
Das war jedenfalls nur auf den Busch geklopft. Vielleicht war es gut für uns, wenn ich ihn vom Gegentheile überzeugte, trotzdem dies auch das Gelüste, unsere Waffen zu besitzen, in gefährlicher Weise erregen konnte. Darum sagte ich: »Wir haben sehr gute Waffen!«
»Das glaube ich nicht!« lautete seine Antwort.
»Oh, wir haben Waffen, von denen eine einzige genügt, um Euch alle zu töten!«
Er lachte und sagte dann: »Du hast ein sehr großes Maul. Zeige mir einmal eine solche Waffe!«
Ich nahm meinen Revolver heraus und frug den Kurden: »Siehst Du dieses kleine Ding?« – Dann rief ich meinen Diener herbei und befahl ihm: »Brich einen Ast von jenem Strauche, mache die Blätter weg bis auf sechs und halte ihn empor. Ich will darnach schießen!«
Er that es, und da nun die andern Kurden merkten, um was es sich handelte, so kamen sie näher heran. Ich nahm mein Pferd auf die weiteste Distanz zurück und zielte. Die sechs Schüsse wurden schnell hinter einander abgegeben, und dann reichte Halef dem Kurden den Zweig hin.
»Katera Chodeh,« rief er; »sie sind alle sechs getroffen, die Blätter!«
»Das ist nicht schwer,« prahlte ich; »das kann bei den Tschermaki ein jedes Kind. Aber das Wunder besteht darin, daß man mit diesem kleinen Ding so schnell und immerfort schießen kann, ohne zu laden.«
Er gab den Zweig seinen Leuten, und während sie ihn betrachteten, nahm ich sechs Patronen heraus und lud wieder den Revolver hinter dem Halse des Pferdes, ohne daß er es bemerkte.
»Was hast Du noch für Waffen?« frug er nun.
»Siehst Du jenen Tu? Paß auf!«
Ich stieg ab und legte den Henry-Stutzen an. Einer, zwei, drei, fünf, acht, elf Schüsse krachten. Die Kurden erhoben bei einem jeden neuen Schusse einen Ausruf des höchsten Erstaunens und nun setzte ich das Gewehr wieder ab.
»Geht hin und seht Euch den Baum an!«
Alle eilten hin, und die Meisten sprangen, um gut sehen zu können, vom Pferde. Ich erhielt somit Zeit zu neuem Laden. Dasselbe Experiment mit demselben Stutzen hatte mich einst bei den Comanchen in Respekt gesetzt, und auch jetzt erwartete ich eine ähnliche Wirkung mit Zuversicht. Da kam der Anführer wieder auf mich zu und rief:
»Chodih, alle elf Kugeln stecken im Baume, eine unter der andern!«
Daß er mich jetzt mit ›Herr‹ anredete, schien ein gutes Zeichen zu sein.
»Du kennst nun einige von unsern Waffen,« sagte ich, »und wirst mir glauben, daß wir uns vor Euren wilden Thieren nicht fürchten.«
»Zeige uns die andern Waffen auch!«
»Dazu habe ich keine Zeit. Die Sonne ist hinab, und wir müssen weiter.«
»Warte noch ein wenig!«
Er ritt wieder zu seinen Leuten und verhandelte mit ihnen. Dann kehrte er zurück und erklärte: »Ihr dürft bei uns bleiben!«
»Wir geben weder unsere Waffen noch unsere Pferde
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