Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
das Land meiner Väter und möchte einst mein Haupt in demselben zur Ruhe legen; aber ich werde mit meinen Gefährten bei Euch weilen so lange, als es meine Zeit gestattet. Wird Marah Durimeh auch fernerhin der Ruh ‘i kulyan bleiben?«
»Ja, doch Niemand darf es wissen, daß sie es ist. Wir haben geschworen, es zu verschweigen, bis sie gestorben ist. Auch Du wirst nicht davon sprechen, Emir?«
»Zu keinem Menschen!«
»Sie wird Dich morgen nach der Zeit des Mittages in meinem Hause besuchen, denn sie hat Dich lieb, als ob Du ihr Sohn oder Enkel seist,« bemerkte der Melek. »Jetzt aber laßt uns gehen.«
»Und die Chaldani, die Nedschir-Bey zusammengerufen hat?« frug ich rasch, denn ich wollte sicher gehen.
Da trat der Erwähnte zu mir heran und reichte mir die Hand entgegen.
»Herr, sei auch mein Freund und Bruder, und verzeihe mir! Ich bin auf falschem Wege gewandelt und will gern umkehren. Du sollst Alles wieder erhalten, was ich Dir abgenommen habe, und ich werde gleich jetzt zum Versammlungsorte meiner Leute gehen, um ihnen zu sagen, daß Frieden ist.«
»Nedschir-Bey, nimm meine Hand; ich verzeihe Dir gern! Aber weißt Du, wer mich aus der Gefangenschaft befreit hat?«
»Ich weiß es. Marah Durimeh hat es mir gesagt. Madana und Ingdscha sind es gewesen, und meine Tochter hat Dich dann selbst zum Ruh ‘i kulyan geführt.«
»Du zürnest den Beiden?«
»Ich hätte ihnen sehr gezürnt und sie sehr hart bestraft; aber die Worte der alten Meleka haben mir die Erkenntniß gebracht, daß die beiden Frauen sehr wohl gehandelt haben. Erlaube, daß auch ich Dich besuche!«
»Ich bitte Dich darum! Nun aber kommt, Ihr Brüder! Meine zwei Gefährten werden sich um uns sorgen.«
Wir verließen den geheimnißvollen Ort, klimmten die Anhöhe empor und fanden den Engländer und Halef wirklich in großer Sorge um mich.
»Wo bleibt Ihr denn, Master?« rief mir Lindsay entgegen.
»Beinahe wäre ich gekommen, um diesen Hole-ghost um Euretwillen todtzuschlagen!«
»Ihr seht, daß diese kühne That nicht nöthig war, Sir.«
»Was gab es denn da unten?«
»Später, später; jetzt wollen wir aufbrechen.«
Da nahm mich Halef beim Arme.
»Sihdi,« raunte er mir zu, »dieser Sabej ist ja nicht mehr gefesselt!«
»Der Geist der Höhle hat ihn befreit, Halef.«
»So ist dieser Ruh ‘i kulyan ein sehr unvorsichtiger Geist. Komm, Sihdi, laß uns den Menschen sofort wieder binden!«
»Nein. Er hat mich um Verzeihung gebeten, und ich habe ihm verziehen!«
»Sihdi, Du bist ebenso unvorsichtig wie der Geist! Aber ich werde klüger sein; ich bin Hadschi Halef Omar und verzeihe ihm nicht.«
»Du hast ihm nichts zu verzeihen!«
»Ich? Nicht?« frug er verwundert. »O viel, sehr viel, Sihdi!«
»Was denn?«
»Er hat sich an Dir vergriffen, an Dir, dessen Freund und Beschützer ich bin, und das ist viel ärger, als wenn er mich selbst gefangen genommen hätte. Wenn ich ihm verzeihen soll, so mag er auch mich um Verzeihung bitten. Ich bin kein Türke, kein Kurde und kein feiger Nasarah, sondern ein Radschul el arab, der seinen Sihdi nicht beleidigen und kränken läßt. Sage ihm das!«
»Vielleicht gibt es Gelegenheit dazu. Jetzt aber steige auf! Du siehst, die Andern sitzen bereits zu Pferde.«
Der Melek hatte neue Fackeln angebrannt, und der Rückweg wurde angetreten. Man war jetzt nicht so schweigsam wie aufwärts, und nur ich betheiligte mich nicht an dem Gespräche, welches von den drei Eingeborenen in fließendem Kurdisch, zwischen Lindsay und Halef aber mittelst englischer und arabischer Sprachbrocken geführt wurde, von denen die Beiden gegenseitig kaum den hundertsten Theil verstanden.
Unser Besuch auf dem Berge gab mir viel zu denken. Worin bestand die Macht, welche diese Marah Durimeh auf den Scheik sowohl als auch auf den Bey von Gumri ausübte? Der Umstand, daß sie Königin gewesen war, konnte an und für sich von keiner solchen Wirkung sein. Es gehörte mehr als dies dazu, um in so kurzer Zeit zwei Gegner zu versöhnen, die sich in Beziehung sowohl auf ihre Abstammung als auch auf ihren Glauben so schroff gegenüber standen. Und fast ebenso wunderbar war es, aus dem wilden, ungefügen Nedschir-Bey so schnell einen freundlichen, lammfrommen Mann zu machen. Warum sollte dies Alles Geheimniß bleiben, auch für mich? Ein anderes Menschenkind hätte sich mit einem solchen Einflusse, mit einer solchen Macht gebrüstet. Diese Marah Durimeh war nicht nur ein geheimnißvolles Menschenkind, sondern jedenfalls
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