Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
Schritte Entfernung ganz deutlich erkennen konnte. Lesen hätte ich, selbst bei kleiner Schrift, ganz gut vermocht. Die Strahlen des Jupiter waren so stark, daß seineTrabanten selbst dann mit einem Fernrohre mit ausgeschraubten Gläsern wohl schwerlich zu entdecken gewesen wären, wenn man den Körper des Planeten mit dem Rande des Rohres zu bedecken versucht hätte. Sogar teleskopische Gestirne kamen zum Vorscheine. Der siebente Stern des Siebengestirnes war ohne bedeutende Anstrengung des Auges zu erkennen. Die Klarheit eines solchen Firmamentes macht einen tiefen Eindruck auf das Gemüth, und ich lernte einsehen, warum Persien die Heimat der Astrologie ist, dieser unfrei geborenen Mutter der edlen Tochter, welche uns die leuchtenden Welten des Himmels kennen lehrt.
Unsere Lage ließ uns vorziehen, im Freien zu übernachten. Wir hatten uns im Laufe des Tages von einem Hirten ein Lamm gekauft und brannten uns jetzt ein Feuer an, um das Lamm gleich in der Haut zu braten, nachdem wir es ausgenommen und mit dem Messer geschoren hatten.
Unsere Pferde grasten in der Nähe. Sie waren in der letzten Zeit ganz ungewöhnlich angestrengt worden, und es wäre ihnen eine mehrtägige Ruhe zu gönnen gewesen, was sich leider aber nicht ermöglichen ließ. Wir selbst befanden uns alle wohl, mit Ausnahme eines Einzigen. Dies war Sir David, welcher unter einem großen Ärger zu leiden hatte.
Er war nämlich vor einigen Tagen von einem Fieber befallen worden, welches ungefähr vierundzwanzig Stunden lang anhielt. Dann war es wieder verschwunden, aber mit diesem Verschwinden hatte sich bei ihm jenes schaudervolle Geschenk des Orientes entwickelt, welches der Lateiner Febris Aleppensis, der Franzose aber Mal d’Aleppo oder Bouton d’Alep nennt. Diese ›Aleppobeule‹, welche nicht nur Menschen, sondern auch gewisse Thiere z.B. Hunde und Katzen heimsucht, wird stets von einem kurzen Fieber eingeleitet, nach welchem sich entweder im Gesicht oder auch auf der Brust, an den Armen und Beinen eine große Beule bildet, welche unter Aussickern einer Feuchtigkeit fast ein ganzes Jahr steht und beim Verschwinden eine tiefe, nie wieder verschwindende Narbe hinterläßt. Der Name dieser Beule ist übrigens nicht zutreffend, da die Krankheit nicht nur in Aleppo, sondern auch in der Gegend von Antiochia, Mossul, Diarbekr, Bagdad und in einigen Gegenden Persien’s auftritt.
Ich hatte diese verunstaltende Beule schon öfters gesehen, noch niemals aber in der ungewöhnlichen Größe, wie bei unserm guten Master Lindsay. Nicht genug, daß bei ihm die außerordentliche Anschwellung im dunkelsten Roth erglänzte, war sie auch noch so impertinent gewesen, sich just die Nase zu ihrem Sitze auszuwählen – diese arme Nase, welche so schon an einer ganz abnormen Dimension zu leiden hatte. Unser Englishman trug das Übel nicht etwa mit Ergebenheit, wie es seine Pflicht als Gentleman und Vertreter der very great and excellent nation gewesen wäre, sondern er verrieth einen Ärger und eine Ungeduld, deren Ausbrüche oft das Zwergfell der Zuhörer in Mitleidenschaft zog.
Auch jetzt saß er am Feuer und befühlte fortwährend mit beiden Händen die unverschämte Pustel.
»Master!« sagte er zu mir. »Hersehen!«
»Wohin?«
»Hm! Dumme Frage! Auf mein Gesicht natürlich! Yes! Ist wieder gewachsen?«
»Was? Wer?«
»‘s death! Diese Beule hier! Viel gewachsen?«
»Sehr! Sieht grad wie eine Gurke.«
»All devils! Schauderhaft! Entsetzlich! Yes!«
»Vielleicht wird’s mit der Zeit ein Fowling-bull, Sir!«
»Wollt Ihr eine Ohrfeige haben, Master? Stehe sofort zu Diensten! Wollte, Ihr selbst hättet dieses armselige Swelling auf Eurer Nase!«
»Habt Ihr Schmerzen?«
»Nein.«
»So seid froh!«
»Froh? Zounds! Wie kann ich froh sein, wenn die Leute denken, meine Nase hätte die Snuff-box gleich mit auf die Welt gebracht! Wie lange werde ich dieses Ding haben?«
»Ziemlich ein Jahr, Sir!«
Er machte ein Paar Augen, daß ich vor Schreck beinahe zurückgewichen wäre, zumal das Entsetzen ihm den Mund so weitaufriß, daß die Nase mit sammt der Snuff-box (Schnupftabaksdose) geradewegs hätte hineinspazieren können.
»Ein Jahr? Ein ganzes Jahr? Zwölf ganze Monate?«
»So ungefähr.«
»Oh! Ah! Horrible! Fürchterlich, entsetzlich! Gibt es kein Mittel? Pflaster? Salbe? Brei auflegen? Wegschneiden?«
»Nichts, gar nichts.«
»Aber jede Krankheit hat ihr Mittel!«
»Diese nicht, Sir. Diese Beule ist nicht im Mindesten gefährlich; aber wenn
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