Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
höflicher als bisher zu sein. Wir sind nur wenigeMänner und Du selbst sagst, daß Ihr ein ganzes Heer seid; aber dieses Heer hat nicht vermocht, uns festzuhalten. Ist dies eine Schande oder eine Ehre für uns? Nicht aus Feigheit vermieden wir den Kampf mit Euch, sondern weil wir Euer Leben schonen wollten.«
»Fremdling, Du redest irre!« fiel er ein.
»Meinest Du? Ich habe einen Mann von Euch vor mir auf meinem Pferde gehabt; Dein Bruder hier ist unser Gefangener gewesen, und als wir mitten in Eurem Lager waren, um unsere beiden Gefährten zu befreien, da war sogar auch Dein eigenes Leben in unsere Hand gegeben. Wir haben Euch geschont und wollen Euch jetzt noch schonen; aber wir verlangen nun auch, daß Du klug genug sein sollst, die Lage zu erkennen, in der Du Dich befindest.«
»Ich erkenne sie. Es ist die Lage des Siegers. Ich erwarte, daß Ihr mich um Verzeihung bittet und Alles herausgebt, was Ihr uns gestohlen habt!«
»Scheik, Du irrst, denn Du befindest Dich in der Lage des Besiegten. Nicht wir sind es, sondern Du selbst bist es, der um Verzeihung zu bitten hat, und ich erwarte, daß Du es augenblicklich thust!«
Der Bebbeh starrte mich vor Erstaunen wortlos an; dann aber brach er in ein lautes Gelächter aus.
»Fremdling, hältst Du die Bebbeh für Hunde und mich, ihren Scheik, für den Bastard einer Hündin? Ich habe den Bitten dieses meines Bruders nachgegeben und bin zu Euch gekommen, um die Größe Eurer Schuld mit den Augen der Gnade zu untersuchen. Eure Strafe sollte milde sein. Da Ihr jedoch nicht erkennen wollt, was zu Eurem Heile dient, so mag der Ruf der Feindschaft zwischen uns weiter klingen, und Ihr sollt erkennen, daß es nur meines Befehles bedarf, um Euch zu zermalmen.«
»Gib diesen Befehl, Scheik Gasahl Gaboya!« antwortete ich kalt.
Da aber nahm sein Bruder zum ersten Male das Wort:
»Dieser Fremdling aus dem Abendland ist mein Freund; er hat mich von der Schande und von dem Tode errettet; ich habe ihm mein Wort gegeben, daß Frieden sein soll zwischen uns und ihm, und ich werde mein Wort halten!«
»Halte es, wenn Du es ohne mich vermagst!« antwortete der Scheik.
»Ein Bebbeh bricht niemals sein Versprechen. Ich werde an der Seite meines Beschützers bleiben, solange er sich in Gefahr befindet, und ich will doch sehen, ob die Krieger unseres Stammes es wagen, Männer anzugreifen, welche sich unter meinen Schutz begeben haben.«
»Dein Schutz ist nicht der Schutz des Stammes. Deine Thorheit wird Dein Unglück sein, denn Du wirst mit diesen Leuten fallen.«
Der Scheik erhob sich und trat zu seinem Pferde.
»Ist dies Dein Beschluß?« frug sein Bruder.
»Ja. Bleibst Du hier, so kann ich nichts weiter für Dich thun, als daß ich den Befehl gebe, nicht auf Dich zu schießen.«
»Dieser Befehl wird nutzlos sein. Ich werde Jeden tödten, der meinen Freund bedroht, selbst wenn Du es wärest, und dann wird man auch mich nicht schonen.«
»Thue, was Du willst! Allah hat zugegeben, daß Du den Verstand verlierst; er mag seine Hand über Dich halten, wenn ich Dich nicht mehr zu schützen vermag. Ich gehe!«
Während sein Bruder bei uns sitzen blieb, stieg er zu Pferde, um das Thal zu verlassen. Da aber erhob Lindsay seine Büchse und hielt die Mündung auf die Brust des Scheik gerichtet.
»Stop, old boy – halt, alter Junge!« gebot er. »Steige ab, sonst schieße ich Dich ein wenig todt! Well!«
Der Scheik wandte den Kopf zu mir zurück und frug:
»Was will dieser Mann?«
»Dich erschießen,« antwortete ich sehr ruhig, »weil ich Dir noch nicht erlaubt habe, diesen Ort zu verlassen.«
Er sah aus meiner kalten, unbeweglichen Miene, daß es mir Ernst war; er sah auch, daß der Engländer den Finger bereits am Drücker hatte – er drehte sein Pferd wieder zurück und rief zornig:
»Fremdling, Du bist ein Schurke!«
»Scheik, sage dieses Wort noch einmal, so gebe ich unserm Wächter ein Zeichen, und Du bist eine Leiche!«
»Aber Dein Verhalten ist Verrath! Ich kam als der Abgesandte meines Stammes und habe freie Rückkehr zu fordern!«
»Du bist nicht der Abgesandte, sondern der Anführer Deines Stammes; das Recht der Unterhändler gilt nicht für Dich.«
»Weißt Du, was das Recht der Völker ist?«
»Ich weiß es, aber Dir ist es nicht bekannt. Du hast vielleicht einmal davon sprechen hören, aber Dein Geist ist nicht reif genug gewesen, es zu verstehen. Das Recht, von dem Du redest, befiehlt Ehrlichkeit im Kampfe; es befiehlt, den Feind zu benachrichtigen, daß
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