Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
Dort steht die Sonne? Es ist ja fast Abend!«
»Seid froh, Master! Die Ladies haben Euch in die Kur genommen. Sie schickten Tropfen für die Wunde. Halef hat sie aufgeträufelt. Dann kam die Eine selbst und goß Euch irgend etwas zwischen die Zähne. Ist wohl kein Porter gewesen, denke ich!«
»Welche war es?«
»Die Eine. Die Andere blieb dort. Es kann aber auch die Andere gewesen sein, und die Eine blieb dort. Weiß nicht!«
»Ich meine, die mit den blauen oder die mit den schwarzen Augen?«
»Habe keine Augen gesehen. Das wickelt sich ja ein wie Postpacket. Es wird aber wohl die Blaue gewesen sein.«
»Warum vermuthet Ihr dies?«
»Weil Ihr mit einem blauen Auge davongekommen seid. Ihr scheint Euch ja ganz wohl zu befinden!«
»Allerdings. Ich fühle mich wirklich ganz frisch und munter.«
»Geht mir auch so. Habe die Tropfen auch an meine Wunden gethan und fühle keinen Schmerz mehr. Ausgezeichnete Mixtur! Wollt Ihr essen?«
»Habt Ihr etwas? Ich hungere wie ein Wolf.«
»Hier! Die Blaue hat es geschickt. Oder vielleicht war es die Schwarze.«
Neben mir war eine silberne Taba, welche kaltes Fleisch, gesäuertes Brod und allerlei Mazih enthielt. Daneben stand ein Tschidan, der aber anstatt mit Thee mit einer kräftigen Fleischbrühe gefüllt war, die noch Wärme besaß.
»Die Ladies scheinen gewußt zu haben, daß ich erwache, bevor die Bouillon erkaltet.«
»Dieser Topf wartet bereits seit Mittag auf Euch. Sobald er kalt geworden ist, lassen sie ihn durch die Alte holen und machen ihn wieder warm. Ihr scheint bei ihnen einen Stein im Brette zu haben.«
Erst jetzt sah ich mich genauer um. In der Nähe lag Halef und schlief. Außerdem war kein Mensch zu sehen.
»Wo ist der Perser?« fragte ich.
»Bei den Weibern. Er war heut Morgen fort und hat eine Bergziege geschossen. Ihr trinkt also Ziegenbrühe.«
»Aus solchen Händen schmeckt sie delikat!«
»Denke nur immer, die Alte wird sie gesotten haben! Yes!«
»Wo ist Amad el Ghandur?«
»Er ist heute sehr früh spazieren geritten.«
Ich sprang auf und rief:
»So ist er fort, der Unbesonnene!«
»Mit dem Kohlenbrenner und dem Soran-Kurden. Yes!«
Ah, jetzt wußte ich, was er gemeint hatte, als er sagte, daß Allah selbst ihm ein Mittel gesendet habe, sich zu rächen. Der Soran-Kurde, selbst ein Todfeind der Bebbeh, konnte seinen Dolmetscher machen. Aber trotzdem war der unglückliche Haddedihn zu beklagen. Es war Zehn gegen Eins zu wetten, daß er seinen Stamm nie wieder erreichen werde. Ihm nachzureiten, davonkonnte gar keine Rede sein. Erstens war sein Vorsprung zu groß; zweitens war ich ja Patient, und drittens konnte es nicht unsere Absicht sein, der Blutrache eines Andern wegen geradezu nun selbst zu Mördern zu werden.
»Er reitet doch den Hengst?« frug ich.
»Den Rappen? Der ist da,« antwortete Lindsay.
Auch das noch! Auf diese Weise also zwang mich Amad el Ghandur, das Pferd von ihm als Geschenk anzunehmen! Ich wußte für den Augenblick wirklich nicht, ob ich mich darüber freuen oder ärgern sollte. Überhaupt war das Verschwinden des Haddedihn ein Ereigniß, welches mich nicht gleichgültig lassen konnte; es mußte innerlich verarbeitet werden, um mich darüber beruhigen zu können.
»Also ist auch Allo mit fort?« frug ich. »Wie steht es denn mit seinem Lohne?«
»Hat ihn zurückgelassen. Ärgert mich! Mag von einem Kohlenbrenner nichts geschenkt haben.«
»Tröstet Euch, Sir! Er hat ein Pferd und eine Flinte. Damit ist er reichlich bezahlt. Und überdies – wer weiß, was ihm der Haddedihn versprochen hat. Wie lange schläft Halef?«
»So lange wie Ihr.«
»Das ist allerdings eine außerordentliche Medizin! Doch vor allen Dingen will ich essen.«
Ich hatte kaum damit begonnen, so wurde ich gestört: Hassan Ardschir-Mirza kam. Ich wollte mich erheben, er aber drückte mich freundschaftlich wieder nieder.
»Bleib sitzen, Emir, und iß! Das ist das Nothwendigste, was geschehen muß. Wie fühlst Du Dich?«
»Ich danke Dir; sehr wohl.«
»Ich wußte es. Dein Fieber wird nicht wiederkehren. Nun aber will ich Dir eine Botschaft ausrichten. Amad el Ghandur kam zu mir. Er erzählte mir Vieles von Euch und von ihm, so daß ich Euch so gut kennen gelernt habe, wie er Euch selber kennt. Er ist den Bebbeh nach und läßt Dich bitten, daß Du ihm verzeihen mögest, und er wünscht, daß Ihr ihm nicht nachfolgt. Er hofft, daß Ihr zu den Haddedihn zurückkehren und ihn dort finden werdet. Das ist die Botschaft, welche ich Euch
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