Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
bringen soll.«
»Ich danke Dir, Hassan Ardschir-Mirza! Sein Gehen hat meine Seele tief betrübt; aber ich muß ihn seinem Schicksale überlassen.«
»Wohin werdet Ihr Euch nun wenden?«
»Das müssen wir erst besprechen. Dieser mein Freund und Diener Hadschi Halef Omar muß allerdings zu den Haddedihn, denn bei ihnen befindet sich sein Weib. Und dieser Emir aus Inglistan hat zwei seiner Diener bei ihnen. Es ist aber dennoch möglich, daß wir zuvor nach Bagdad reiten. Dort hat der Inglis ein Schiff, mit welchem wir auf dem Tigris bis zu den Weidegründen der Haddedihn gelangen können.«
»So besprecht Euch, Emir! Geht Ihr nach Bagdad, so bitte ich Euch, mich nicht zu verlassen. Ihr seid tapfere Krieger; ich habe Euch bereits unser Leben zu verdanken und ich möchte Dir gern zeigen, daß ich Dich lieb gewonnen habe. Wir bleiben hier an diesem Orte, bis wir ohne Gefahr für Euere Gesundheit aufbrechen können. Jetzt iß und trink! Ich werde Euch noch mehr senden, denn Ihr seid meine Gäste. Gott mit Euch!«
Er ging, und es dauerte kaum zwei Minuten, so kam die alte Dienerin und brachte eine zweite Taba voller Speisen.
»Nehmt! Der Herr sendet es Euch!« sagte sie.
»Habt Ihr Feuer in der Hütte?« frug ich sie.
»Ja. Wir haben ein kleines Feuer und einen Djagadar, auf welchem wir die Speisen schnell bereiten können.«
»Maderka, wir machen Euch sehr viele Sorgen!«
»O nein, Emir. Das Haus freut sich, Gäste zu haben. Der Herr hat dem Hause von Euch erzählt, und Ihr sollt sein, als ob Ihr der Herr selber wäret. Aber sage nicht Maderka! Ich bin Duschireh und werde stets nur Alwah oder auch zuweilen Halwa genannt.«
Damit trippelte sie von dannen. Alle Wetter! War es mir auf dieser Reise denn wirklich beschieden, nur anthropobotanische Studien zu machen? Erst kürzlich in Schohrd eine ›Petersilie‹,und jetzt wieder eine Alwah, die zuweilen auch Halwa genannt wurde! Diese beiden Wörter bestehen aus ganz denselben Buchstaben, und doch wie verschieden ist ihre Bedeutung! Alwah heißt nämlich im Persischen so viel als Aloë, und Halwa ist unser liebes Tausendschönchen.
Diese gealterte Jungfrau hatte nun freilich mehr Ähnlichkeit mit der stacheligen Aloë als mit dem hübschen Tausendschönchen. Sie trug weite, am Knöchel zusammengebundene Beinkleider, deren niederhängende Falten zwei graue Filzpantoffeln fast bedeckten, darüber eine rothtuchene Weste und dann ein kaftanartiges, dunkelblaues Obergewand, auf dem Kopfe einen gelben Turban und daran zwei salope Schleierflügel, welche hinten einen haarlosen Nacken und vorn das eigenthümlich gezeichnete Gesicht einer Schleiereule sehen ließen. Doch schien diese ›tausendschöne Aloë‹ ein recht freundliches Gemüth zu besitzen, und ich beschloß, mich zu ihr auf einen möglichst freundschaftlichen Fuß zu stellen.
Sie hatte die Taba zur rechten Zeit gebracht, denn just als sie sich zum Gehen wandte, begann Halef zu gähnen und schlug dann die Augen auf. Er blickte erstaunt im Kreise umher, richtete sich zum Sitzen empor und frug dann ganz verwirrt:
»Maschallah! Dort steht die Sonne! Habe ich mich umgewandt oder hat sie sich umgedreht?«
Es ging ihm wie mir: er konnte es sich nicht denken, so lange geschlafen zu haben, und sein Erstaunen wuchs, als er erfuhr, daß Amad el Ghandur sich nicht mehr bei uns befinde.
»Fort? Wirklich fort?« frug er. »Ohne Abschied? Bei Allah, das ist nicht recht von ihm! Aber was thun nun wir? Jetzt hast Du keine Verpflichtungen mehr, welche Dich nöthigen, zu den Weideplätzen der Haddedihn zurückzukehren.«
»Ich denke im Gegentheile, daß ich sie noch habe. Glaubst Du, ich werde Dich verlassen, ohne überzeugt zu sein, daß Du sicher zu Scheik Malek und zu Hanneh, Deinem Weibe, gelangst?«
»Sihdi, diese Beiden befinden sich sehr wohl und werden warten müssen, bis ich komme. Ich liebe Hanneh, aber ich werde nicht eher von Deiner Seite weichen, als bis Du zurückkehrst in das Land Deiner Väter.«
»Ich kann ein solches Opfer nicht von Dir fordern, Halef.«
»Nicht von mir, sondern von Dir ist es ein Opfer, mich bei Dir zu behalten, Sihdi. Beschließe, was Du willst; ich folge Dir, wenn Du nicht die Grausamkeit hast, mich von Dir zu weisen!«
Jetzt brachten die Perser aus dem Flusse reichliche Beute von Fischen herbei, aus welchen das Nachtmahl bereitet wurde. Ich schloß mich von demselben aus, da ich bereits gegessen hatte, und erstieg den Felsblock, um am Grabe des Haddedihn dem Untergange der Sonne
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