Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
Azdar?« fragte mich Halef.
»Geizhals.«
»Allah ‘l Allah! Und wie heißt ein recht dummer, alberner Mensch?«
»Bisaman.«
»Und ein recht grober Flegel?«
»Dschaf.«
Da drehte sich der kleine Hadschi zu dem Perser hin, hielt ihm die flache Hand emporgerichtet entgegen, wischte sie am Beine ab, eine Geberde, welche für die größte Beleidigung gilt, und rief: »Bisaman, Dschaf, Dschaf!«
Auf diese Worte öffneten sich die rhetorischen Schleusen des Schiiten auf eine Art und Weise, daß wir Alle Reißaus nahmen. Der ›heilige Märtyrer‹ befand sich im Besitze von Schimpfwörtern und Drastika, welche man unmöglich wiedergeben kann. Wir beugten uns vor seiner Überlegenheit und ritten weiter.
Die Luft, in welcher wir uns bewegten, wurde nicht besser. Wir konnten ganz genau die Spuren der Todeskaravane erkennen, und weithin zur Seite zeigten zahlreiche Fuß- und Hufeindrücke, daß die militärische Escorte, welche ihr von Bagdad aus zur Schutzwehr gegen Räuber mitgegeben wird, sich der Ausdünstung der Särge wegen in vorsichtiger Entfernung gehalten hatte.
Ich schlug Hassan Ardschir vor, den Karavanenweg zu verlassen und in genügender Entfernung parallel mit ihm zu reiten; aber er ging nicht darauf ein, da es ein großes Verdienst der Pilger sei, in dem ›Odem der Abgeschiedenen‹ zu reisen. Zum Glück erreichte ich wenigstens so viel, daß wir, als wir abends an einen Khan gelangten, in welchem der Pilgerzug gerastet hatte, dort nicht übernachteten, sondern entfernt davon in einem breiten Kanale unser Lager aufschlugen.
Wir befanden uns in einer gefährlichen Gegend und durften uns vom Lager nicht entfernen. Bevor wir Alle uns schlafen legten, wurde beschlossen, morgen in einem Eilritte die Karavane zu überholen, Hilla zu erreichen und am ›Thurm zu Babel‹ das Nachtlager aufzuschlagen. Dann wollte Hassan Ardschir die Leichenkaravane vorüberlassen, um sie später wieder zu erreichen, während wir Andern seine Rückkehr erwarten sollten.
Ich war sehr müde und fühlte einen dumpfen, bohrenden Schmerz im Kopfe, obgleich ich Kopfschmerzen sonst niemals ausgesetzt gewesen bin. Es war, als ob ein Fieber im Anzuge sei, und daher nahm ich eine Dose Chinoidin, welches ich mir nebst einigen andern auf der Reise nothwendigen Medicamenten in Bagdad gekauft hatte. Ich konnte trotz der Müdigkeit lange keine Ruhe finden, und als ich endlich einschlief, wurde ich von häßlichen Traumbildern beunruhigt, welche mich immer wieder weckten. Einmal war es mir, als hörte ich den gedämpften Schritt eines Pferdes, aber ich lag noch halb im Schlummer und glaubte, es sei noch im Traume.
Endlich trieb mich die Unruhe vom Lager empor, und ich trat vor das Zelt. Der Tag begann zu grauen; im Osten lichtete sich bereits der Horizont, und in jenen Gegenden dauert es dann nur kurze Zeit bis zur vollen Helle. Ich musterte den Gesichtskreis und bemerkte nach Morgen hin einen Punkt, welcher sich schnell vergrößerte. Schon in zwei Minuten konnte ich einen Reiter erkennen, welcher sich uns schnell näherte. Es war – Mirza Selim Agha. Sein Pferd dampfte, als er absprang; er selbst aber schien sehr verlegen, als er mich bemerkte. Er grüßte kurz, hing sein Pferd an und wollte dann an mir vorüber.
»Wo warst Du?« frug ich ihn kurz, aber nicht unfreundlich.
»Was geht es Dich an!« antwortete er.
»Sehr viel. Männer, welche in einer so schlimmen Gegend mit einander reisen, sind sich Auskunft schuldig.«
»Ich habe mein Pferd geholt.«
»Wo war es?«
»Es hatte sich losgerissen und war entflohen.«
Ich trat hinzu und untersuchte den Strick.
»Diese Fessel hat keinen Riß erlitten!«
»Der Knoten hatte sich gelöst.«
»Danke Allah, wenn der Knoten, den man einmal um Deinen Hals legen wird, auch nicht besser hält!«
Ich wollte mich von ihm wenden, aber er trat hart an mich heran und fragte:
»Was sagst Du? Wie meinst Du das? Ich verstehe Dich nicht.«
»So denke darüber nach!«
»Halt, Du darfst so nicht fortgehen; Du mußt mir sagen, was Du mit Deinen Worten gewollt hast!«
»Ich wollte Dich an den Kirchhof der Engländer in Bagdad erinnern.«
Er verfärbte sich ein wenig, hatte sich aber so in der Gewalt, daß er in ruhigem Tone sagen konnte:
»Der Kirchhof der Engländer? Was geht er mich an? Ich bin kein Inglis. Du aber sprachst von einem Strick um meinen Hals. Ich habe mit Dir nichts zu schaffen und werde es Hassan Ardschir-Mirza sagen. Dieser mag Dich unterweisen, wie Du mich zu behandeln
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