Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
160,000 Quadratfuß Flächenraum und wurden von einer 22 Fuß dicken Mauer umgeben. Auf großen, gewölbten Bogen erhoben sich amphitheatralisch angelegte Terrassen, zu denen man auf 10 Fuß breiten Stufen gelangte. Die Plattformen dieser Terrassen waren mit 16 Fuß langen und 4 Fuß breiten Steinen belegt, um kein Wasser hindurch zu lassen; auf den Steinen war eine dicke Lage verkittetes Rohr, dann zwei Reihen gebrannter Ziegel, welche mit Harz gut verbunden waren, und dann hatte man das Ganze noch mit Blei bedeckt, auf dem man die beste Pflanzenerde so hoch aufgeschüttet hatte, daß die stärksten Bäume bequem Wurzel schlagen konnten. Auf der obersten Terrasse befand sich ein Brunnen, welcher das nöthige Wasser in Fülle aus dem Euphrat sog und über die Gärten ergoß. In den Hallen einer jeden Terrasse hatte man prächtige, zur Nachtzeit illuminirte Gartensäle angebracht, in denen man den Duft der köstlichsten Blumen und die herrlichste Aussicht über die Stadt und deren Umgebung genießen konnte.
Das hervorragendste Gebäude Babel’s aber war der Baalsthurm, von welchem uns die Bibel 1. Mos. 11 berichtet. Die heilige Schrift gibt keine genaue Höhe an; sie sagt nur: »dessen Spitze bis an den Himmel reicht«. Die Talmudisten behaupten, der Thurm sei 70 Meilen hoch gewesen; nach orientalischen Traditionen war er 10,000 Klafter, nach anderen Überlieferungen 25,000 Fuß hoch, und es soll eine Million Menschen zwölf Jahre lang daran gearbeitet haben. Das ist natürlich übertrieben. Die Wahrheit ist, daß sich allerdings mitten aus dem großen Tempel des Baal ein Thurm erhoben hat, dessen Basis ungefähr tausend Schritte im Umfange hatte, während seine Höhe 6-800 Fuß betrug. Er bestand aus acht über einander stehenden Abtheilungen, von denen immer die höhere eine kleinere Grundfläche hatte, als diejenige, von welcher sie getragen wurde. Durch einen achtmal um den Thurm führenden Stiegengang gelangte man auf die Höhe des Bauwerkes. Jede einzelne Abtheilung enthielt große, gewölbte Hallen, Säle und Gemächer, deren Bildsäulen, Tische, Sessel, Gefäße und andere Geräthschaften von massivem Golde waren. Im untersten Stockwerke stand die Bildsäule des Baal, welche tausend babylonische Talente wog, also einen Werth von mehreren Millionen Thaler besaß. Das oberste Stockwerk trug ein Observatorium, auf welchem die Astronomen und Sterndeuter ihre Beobachtungen machten. Xerxes beraubte den Thurm aller Schätze, welche nach Diodorus 6300 Talente in Gold betragen haben sollen.
Hierzu sagt die morgenländische Mythe noch, daß sich in dem Bauwerke ein Brunnen befunden habe, der grad so tief gewesen sei, wie der Thurm hoch war. In diesem Brunnen sind die gefallenen Engel Warud und Marud mit Ketten an den Füßen aufgehangen, und in seiner Tiefe liegt die Lösung aller Zauberei verborgen.
Das war Babel. Und jetzt – – –!
Hier am Birs Nimrud dachte ich mich in die Heimat, in die stille Stube zurück, mit der aufgeschlagenen Bibel vor mir. Wie oft hatte ich die Weissagung Jeremia’s gelesen, welche wie Posaunenschall über das von Gott gerichtete Sinear erklang! An den Wassern Babylon’s, am Ufer des Euphrat und an den Rändern der See’n und Kanäle saßen die heimatlosen Söhne Abraham’s; ihre Psalter und Saitenspiele hingen stumm an den Weiden, und ihre Thränen flossen zum Zeichen der Buße ob ihrer Sünden. Und wenn eine der Harfen erklang, so ertönte sie vor Sehnsucht nach der Stadt, die das Heiligthum Jehovah’s barg, und der Schluß des Klageliedes war: »Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, von denen mir Hülfe kommt.« Und der Herr erhörte das Gebet. Es erklang die gewaltige Stimme Jeromijahu’s aus Anathot, den wir Jeremias nennen, und das weinende Volk lauschte seinen Worten:
»Dies ist das Wort des Herrn wider Babel und das Land der Chaldäer: Es ziehet von Mitternacht ein Volk herauf, welches ihr Land zur Wüste machen wird; es hat Bogen und Schild und ist grausam und unbarmherzig; sein Geschrei ist wie das Brausen des Meeres. Fliehet aus Babel, damit ein Jeder seine Seele errette, denn es ist ein Kriegsgeschrei im Lande und großerJammer. Es spricht der Herr Zebaoth: Siehe, ich will den König zu Babel heimsuchen; rüstet Euch wider Babel; jauchzet über sie um und um; ihre Grundfesten sind gefallen, und ihre Mauern abgebrochen. Kommt her gegen sie; öffnet ihre Kornhäuser, erwürget alle ihre Rinder, belagert sie, und lasset Keinen entfliehen. Sie hat wider den Herrn
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