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Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)

Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Vogelschießen ähnlich; doch konnte ich von unserm Begleiter nicht erfahren, welchen Ursprung es habe.
    Auf freien Plätzen waren Zelte errichtet, in denen Blumen, Früchte und allerlei Eßwaren verkauft wurden. Seiltänzer, indische Gaukler, Feuerfresser, Schlangenbeschwörer trieben überall ihr Wesen; bettelnde Derwische machten die Passage unsicher; Kinderlärmten, Lastträger zankten, Kameele schrien, Pferde wieherten, Hunde bellten, und dazu in den Musikzelten ein Blasen, Kratzen, Schlagen und Zerren auf allen möglichen und unmöglichen Instrumenten – es war das wirkliche Vogelschießtreiben, nur auf anderem Schauplatz und mit anderen Gestalten. Von einem regelrechten Pfeilschießen nach dem Ziele sah ich nichts. Ich sah allerdings hier oder da einen Mann oder Knaben einen bunt befiederten Stab vom Bogen schnellen, aber das geschah nur so beliebig, so nebenbei, und wen oder was dieser Pfeil traf, das war sehr gleichgültig.
    So ritten wir an einer langen Reihe von Scherbet- und Frucht-Verkäufern hinab, als ich plötzlich meinen Esel anhielt und lauschte. Was war denn das? Hatte ich recht gehört? Vor einem großen Zelte waren sehr viele Leute versammelt; aus demselben ertönten Violinen- und Harfenklänge, und jetzt, richtig, fiel nach beendetem Zwischenspiele eine abgejagte Sopranstimme in der reinsten erzgebirgischen Mundart ein:
    »Zum heil’gen Ab’nd um Mitternacht
Da fließt statt Wasser Wein,
Und wenn ‘ch mich nur net färchten thät
Da holt ‘ch mir ‘n Topp voll ‘rein.«
     
    »Sihdi, was ist das!« rief Halef. »Hier singt ein Weib. Ist das möglich?«
    Ich nickte bejahend und hörte noch die nächste Strophe:
    »Mer hab’n aach neunerlei Gericht,
Aach Wurscht und Sauerkraut;
Das hat mei’ Alte vorgericht’t,
Die alte, gute Haut.«
     
    Hier konnte ich unmöglich vorüberreiten; hier mußte ich einmal einkehren, um zu sehen, ob ich recht vermuthe. Ich stieg ab und winkte Halef, mir zu folgen, während der Diener bei den Thieren blieb. Wir drängten uns durch die Menge und traten ein. Vor der Thür saß ein grimmiger, schwarzbärtiger Türke und schnauzte uns entgegen:
    »Her kischi bir Gurusch – pro Person einen Piaster!«
    Ich zahlte das Entrée und blickte mich dann im Zelte um. In die Erde geschlagene Pfähle und darauf genagelte Latten bildeten Bänke und Tische, ganz nach schöner, deutscher Vogelwiesensitte; auf diesen Bänken und an diesen Tischen hockten, eng an einander gedrückt, weit mehr als hundert Araber, Türken, Armenier, Kurden, Juden, Christen, Drusen, Maroniten, Baschi-Bozuks, Arnauten und so weiter; sie tranken Scherbet oder Kaffee, rauchten oder kauten Gebäck und Früchte; im Hintergrunde war das ›Büfett‹, und daneben saßen auf einem ächten Podium zwei Violinisten, zwei Harfenistinnen und eine Guitarrespielerin, alle zusammen in Tyroler Tracht.
    Ich schritt bis ganz nahe an sie heran, schob ganz einfach, ohne erst zu fragen, die elf Köpfe zählenden Inhaber einer Bank noch enger zusammen und setzte mich mit Halef nieder. Dieses summarische Verfahren mochte uns die Achtung des ›Kellners‹ erworben haben, denn er eilte sofort herbei und forcirte eine tiefe Reverenz.
    »Scherbet für Zwei!« bestellte ich und hatte für die zwei Gläser fünf Piaster zu bezahlen. Das waren ja wirkliche Hôtelpreise!
    Unterdessen war das Lied, von welchem keiner der Anwesenden ein Wort verstand, von der Guitarristin zu Ende gesungen worden, und als sich trotzdem reicher Beifall vernehmen ließ, gab sie noch einen Dacapovers zum Besten und ging dann mit dem bekannten Notenblatte einkassiren. Ich wurde dabei rücksichtsvoll übersehen, da wir eben erst gekommen waren.
    Das nächste Musikstück war ein ›Lied ohne Worte‹, nach welchem der eine Violinist hinter einem Vorhange verschwand. Nach kurzer Zeit begann ein Präludium, und der Violinist kehrte zurück als – deutscher Handwerksbursche mit Ziegenhainer, zerrissenen Stiefeln, eingetriebenem Hute und dem unvermeidlichen ›Berliner‹ auf dem Rücken. Im rauhesten Bierbasse intonirte er:
    »Wenn ich mich nach der Heimat sehn’,
Wenn mir im Aug’ die Thränen stehn,
Wenn’s Herz mich drückt halt gar so sehr,
Dann fühl ich’s Alter um so mehr.
Und’s wird nur leichter mir um’s Herz,
Fühl’ weniger den stillen Schmerz,
Wenn ich so off der Straße steh
Und mir mein kleenes Geld beseh.«
     
    Das war der ›Stoffel in der Fremde‹ wie er leibte und lebte. Und obgleich das Publikum weder einen Begriff von einem

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