Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
sich hier nicht einmal an Isla Ben Maflei gewendet? Er ist ja hier in Stambul.«
»Danke sehr! Von ihm mag ik nichts wissen. Er hat mir jekränkt; er hat mir bei meiner Ehre anjegriffen und verletzt; er soll nie nicht dat Verjnügen haben, mir bei sich zu sehen!«
»Ich wohne bei ihm,« bemerkte ich.
»O, dat is unanjenehm, denn da kann ik Ihnen nicht besuchen!«
»Sie besuchen ja nicht ihn, sondern mich.«
»Wenn auch! Ik werde sein Haus unter keinem Umstande betreten; aber lieb wäre es mich, wenn ik Ihnen auf irjend eine Weise dienen könnte.«
»Das können Sie. Erinnern Sie sich noch genau jenes Abrahim Mamur, dem wir das Mädchen nahmen?«
»Sehr jenau. Er hieß eijentlich Dawuhd Arafim und ist uns ausjerissen.«
»Er ist hier in Constantinopel, und ich suche ihn.«
»Daß er hier ist, weiß ik janz jenau, denn ik habe ihm jesehen.«
»Ah! Wo?«
»Droben in Dimitri, wo ik ihm bejegnet bin, ohne daß er mir erkannt hat.«
Ich wußte, daß Sankt Dimitri nebst Tatavola, Jenimahalle und Ferikjöi zu den verrufensten Stadttheilen gehört, und frug daher:
»Sind Sie oft in St. Dimitri?«
»Sehr. Ik wohne da.«
Nun wußte ich genug. Dieser Barbier aus Jüterbogk hatte sich bei dem griechischen Gesindel Dimitri’s eingebürgert, welches den verkommensten Theil der Bevölkerung Stambul’s bildet. Dort ist das Verbrechen ebenso zu Hause, wie in der berüchtigten Wasserstraße New York’s oder in den Blackfriarsgäßchen London’s. Des Abends ist es gefährlich, sich dort sehen zu lassen, und selbst am Tage öffnen sich bei jedem Schritte rechts und links die Höhlen, in denen das Laster seine Orgien feiert oder unter den ekelhaftesten Krankheiten sein Dasein verjammert.
»In St. Dimitri wohnen Sie?« frug ich deßhalb. »Gab es keinen andern Ort, wo Sie eine Wohnung finden konnten?«
»Jenug Orte, aber in Dimitri is et janz schön, besonders wenn man Jeld hat, um diese Schönheit zu jenießen.«
»Haben Sie Abrahim Mamur vielleicht beobachtet, als Sie ihm begegneten? Es kommt mir sehr darauf an, seinen Aufenthaltsort zu erfahren.«
»Ik habe ihm laufen lassen, denn ik war nur froh, daß er mich nicht bemerkte. Aber ik kenne dat Haus, aus welchem er kam, und ich werde mir dort einmal erkundigen.«
»Haben Sie nicht Lust, dieses Haus mir jetzt gleich zu zeigen?«
»Ja; ik bin einverstanden.«
Ich bezahlte für mich und ihn; dann nahmen wir zwei Pferde, welche ganz in der Nähe zu vermiethen waren, und ritten durch Pera und Tepe Baschi hinauf nach Sankt Dimitri.
Man sagt, Kopenhagen, Dresden, Neapel und Constantinopel seien die vier schönsten Städte Europa’s; ich habe keine Veranlassung, dieser Behauptung entgegenzutreten. Aber in Beziehung auf Constantinopel muß ich doch erwähnen, daß man diese Stadt nur dann schön zu finden vermag, wenn man sie nur von außen, vom goldenen Horn aus, betrachtet; sobald man dagegen ihr Inneres betritt, wird die Enttäuschung nicht ausbleiben. Ich erinnere mich dabei jenes englischen Lords, von welchem man erzählt, daß er zwar mit seiner Dampfjacht Constantinopel besucht, aber dabei nicht sein Fahrzeug verlassen habe. Er fuhr von Rodosto am Nordufer des Marmarameeres hin bis Stambul, lenkte in das goldene Horn ein, in welchem er bis hinauf nach Eyub und Sudludje dampfte, kehrte zurück und ging im Bosporus bis an dessen Mündung in das schwarze Meer und fuhr dann wieder zurück, in dem Bewußtsein, sich den Totaleindruck Constantinopel’s nicht durch Eingehen auf die garstigen Einzelnheiten verdorben zu haben.
Betritt man hingegen die Stadt, so kommt man in enge, krumme, winkelige Gäßchen und Gassen, welche unmöglich Straßen zu nennen sind. Pflaster gibt es nur selten. Die Häuser sind meist aus Holz gebaut und kehren der Gasse eine öde, fensterlose Fronte zu. Bei jedem Schritte stößt man auf einen der häßlichen, struppigen Hunde, welche hier die Wohlfahrtspolizei zu versehen haben, und wegen der Enge der Passage muß man jeden Augenblick gewärtig sein, von Lastträgern, Pferden, Eseln und anderen thierischen oder menschlichen Passanten in den Koth gerannt zu werden.
So war es auch auf unserem Wege nach St. Dimitri. Die Gassen waren von den Überresten, welche die Fisch-, Fleisch-, Obst- und Gemüsehändler weggeworfen hatten, verunreinigt; Melonenschalen faulten in ungeheuren Mengen am Boden; neben den Fleischereien stank das Blut in breiten Löchern; Cadaver von Hunden, Katzen und Ratten, abgerissene Stücke von gefallenen Pferden hauchten
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