Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
merkte, so vermutete ich doch, daß nun heller Himmel geworden sei, der die Gefahr eines Schiffbruches bedeutend verminderte. Ich schlief ruhig ein.
Als ich erwachte, lag das Schiff still; meine Thür war geöffnet, draußen aber stand mein Wächter.
»Willst du hinauf?« fragte er mich.
»Ja.«
»Du kannst nur bis zum Deghrioben bleiben.«
Gebet zur Mittagszeit.
Ich kam an Deck und fand bereits alle Spuren des Sturmes verwischt. Das Schiff lag in einer sehr schmalen, tief in das Land einschneidenden Bucht vor Anker. Die Segel waren abgenommen und die beweglichen Masten umgelegt worden, so daß das Fahrzeug weder vom Meere, noch vom Lande aus, welches wüst und unbewohnt erschien, leicht gesehen werden konnte.
Bis gegen Mittag blieb ich an Deck, ohne etwas Ungewöhnliches bemerken zu können. Dann aber ließ mich Abu Seïf zu sich kommen. Er befand sich nicht an Deck, sondern in seiner Kajüte, in welcher ich alle meine Waffen an der Wand hängen sah. Auch die Patronenkapsel war da, und außerdem sah ich mehrere große Ketschikiseam Boden liegen, welche jedenfalls Pulver enthielten. Ein Sandykstand offen, den Abu Seïf bei meinem Eintritt sofort verschloß; dennoch hatte ich Zeit genug gehabt, zu bemerken, daß er lauter Kettschuwalenthielt, in denen sich wahrscheinlich die von dem Sambuk geraubten Gelder befanden.
Aus Ziegenfell gefertigte Beutel. Die Haarseite ist dabei nach außen gewendet.
Ein schrankartiger Kasten.
Leinwandsäckchen.
»Nemtsche, ich habe ein kurzes mit dir zu reden,« sagte er.
»Sprich.«
»Verweigerst du mir noch immer das Versprechen, keinen Fluchtversuch zu unternehmen?«
»Ich bin kein Lügner und sage dir daher aufrichtig, daß ich fliehen werde, sobald sich mir eine Gelegenheit dazu bietet.«
»Du wirst keine solche Gelegenheit finden; aber du zwingst mich, strenger mit dir zu verfahren, als ich möchte. Ich werde zwei Tage lang nicht an Bord sein; du darfst während dieser Zeit deine Kammer nicht verlassen und wirst mit gebundenen Händen unten liegen.«
»Das ist hart.«
»Ja; aber du trägst selbst die Schuld.«
»Ich muß mich fügen.«
»So kannst du gehen. Merke dir jedoch, daß ich Befehl geben werde, dich sofort zu töten, wenn du den Versuch machst, deine Fesseln wegzunehmen. Wärest du ein Rechtgläubiger, so würde ich dich bitten, mein Freund zu sein. Du bist ein Giaur, aber ich hasse und verachte dich nicht. Ich hätte deinem Versprechen Glauben geschenkt; du willst es aber nicht geben, und so mußt du nun die Folgen tragen. Gehe jetzt nach unten!«
Ich wurde unter Deck geführt und dort eingeschlossen. Es war eine Pein, bei der da unten herrschenden Glut gefesselt liegen zu müssen; aber ich fügte mich darein, trotzdem mein Wächter seiner Rachsucht dadurch Genüge geschehen ließ, daß er mir weder Speise noch Trank brachte. Ich hoffte auf Halef, und zwar mit einer Spannung, wie ich sie so groß noch selten empfunden hatte. Meine Lage wurde dadurch, daß ich mich im Dunkeln befand, natürlich nicht verbessert. Ich hatte El Asr, El Mogreb und El Aschia beten hören; dann war eine lange, lange Zeit vergangen, und es mußte weit über Mitternacht sein, als ich endlich draußen vor meiner Thür ein leises Geräusch vernahm.
Ich horchte angestrengt, vermochte aber nichts mehr zu hören. Sprechen durfte ich auf keinen Fall. Vielleicht war es auch bloß eine Ratte gewesen.
Es blieb eine Weile ruhig; dann hörte ich Schritte nahen, denen jenes leise Rauschen folgte, welches entsteht, wenn ein Teppich oder eine Matte auf den Boden gebreitet wird. Was war das? Jedenfalls hatte mein Wächter sich vorgenommen, vor meiner Thür die übrige Nacht zuzubringen. Nun war es aus mit meiner Hoffnung, denn wenn Halef ja noch kam, so – – – aber horch! Was war das? Es gehörte die ganze Schärfe meines Gehörs dazu, um zu bemerken, daß der Holzriegel an meiner Thür langsam, langsam zurückgeschoben wurde. Einige Sekunden nachher hörte ich einen harten Schlag – ein Geräusch, als wenn jemand vom Boden empor wolle und doch nicht könne – ein kurzes, ersticktes Stöhnen, und dann erklang es draußen halblaut:
»Sihdi, komm; ich habe ihn!«
Es war Halef.
»Wen?« fragte ich.
»Deinen Wächter.«
»Ich kann dir nicht helfen, die Hände sind mir gebunden.«
»Bist du an die Wand gebunden?«
»Nein; hinaus zu dir kann ich.«
»So komm, die Thür ist offen.«
Als ich hinaustrat, fühlte ich, daß der Araber unter krampfhaften Zuckungen am Boden lag. Halef
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