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Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)

Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Tageslichte unthätig, wachen erst mit den Sternen auf und streuen ihre Wohlgerüche in der stillen Dämmerung oder der nächtlichen Dunkelheit aus. Das Reich der Pflanzen hat, wie dasjenige der Thiere, ebensowohl seine Nacht- wie auch seine Tagesschläfer.
    Es giebt gewisse Pflanzen, die so reizbar sind, daß ihnen eine sehr zarte, fast thierische Empfindung nicht abzuläugnen ist. Die schamhafte Sinnpflanze ( mimoza pudica ) zieht, wenn man sie berührt, schüchtern ihre Blätter zusammen, und wenn man sie schlägt oder stark erschüttert, so läßt sie die Blätter traurig herabhängen. Fast ebenso empfindlich ist eine andere Mimosenart, ein südamerikanischer Strauch von 6 bis 10   Fuß Höhe. Stampft man in der Nähe dieser Gewächse auf den Boden, so erfolgt eine plötzliche Bewegung der Blätter, welche mit der Wirkung des Schrecks auf die Thiere große Aehnlichkeit hat. Wenn ein Reiter durch ein solches Mimosengesträuch galoppirt und die vorher im Sonnenscheine so schön ausgebreiteten fiederblättrigen Fächer rechts und links bei jedem Hufschlage zusammenfahren und schlaff niedersinken sieht, so bekommt er den Eindruck, als befinde er sich mitten unter mit Gefühl und Empfindung begabten Wesen. Nicht minder auffallend ist die Ruhelosigkeit des schwingenden Hedysarum ( hedysarum gyrans, ) einer ostindischen Pflanze, welche unserer Esparsette nahe verwandt ist. So lange dieses Gewächs sich im Wachsthum befindet, sind seine Blätter in einer immerwährenden und regelmäßig auf- und niedergehenden Bewegung.
    Auch die außerordentliche Liebe der Pflanzen zum Lichte ist eine der Erscheinungen des organischen Lebens. Welch ein wetteiferndes Drängen der Bäume eines dichten Waldes, Theil zu haben am Sonnenlichte. Wie trauernd und kränkelnd stehen die Unterdrückten da, während freudig die über ihnen rauschen, deren Wipfel vom Glanze der Sonne trinken. Wie breiten die in Zimmern und Gewächshäusern gehaltenen Pflanzen ihre Zweige, ihre Blätter sehnsüchtig nach den Fenstern aus, und wie drängt sich selbst der Keim aus den im Dunkel aufbewahrten Zwiebel- und Knollengewächsen hervor, um nach Licht zu suchen! Eine Kartoffel, welche im Frühlinge in einem Winkel des Kellers liegen geblieben war, trieb ihren Ausläufer erst zwanzig Fuß am Boden gegen die Thür hin, dann rankte sie an der Wand in die Höhe und trieb dann in grader Richtung auf das Lichtloch des Gewölbes zu. Wer kann bei solchen Erscheinungen, die das Vorhandensein eines Pflanzensinnes ankündigen, ein gleichgültiger oder gar gefühlloser Zuschauer bleiben?
    Zwar dürften diese Erscheinungen durch physikalische und chemische Verhältnisse zu erklären sein, aber ein Räthsel bleiben sie uns doch, und wir müssen gestehen, daß die Thätigkeit der menschlichen Seele, des menschlichen Geistes ja auch nur durch gewisse physikalische Vorgänge und chemische Prozesse ermöglicht ist.
    Für den sinnigen und gefühlvollen Beobachter giebt es im Reiche der Pflanzen mehr Leben, Absicht und gleichsam willkürliche Thätigkeit, als Andere vermuthen möchten. Scheint es doch fast, als ob sie der Schöpfer mit einer gewissen gegenseitigen Liebe begabt hätte! Denn wie unter den meisten Thieren, so herrscht sichtbar auch unter den Pflanzen der Trieb zur Geselligkeit. Wo sie frei für sich leben, und das ist vornehmlich in den gemäßigten Erdgürteln der Fall, da wohnen sie in ganzen Familien beisammen. Sie scheinen dann kräftiger zu gedeihen, als wenn man sie vereinzelt; ihr Wuchs ist, besonders an Bäumen, schlanker, ihre Oberfläche glänzender. Hingegen einzeln- und freistehende Pflanzen sind zusammengedrängter, struppiger, rauher und behaarter. Ist es nicht ebenso bei dem Menschen? Durch Geselligkeit wird er heiterer, in seinem Aeußern gefälliger; die Einsamkeit macht ihn in sich gekehrter, rauher, ja – wilder. Es ist keine Sage, sondern vollständige Wahrheit, daß die Marien-Kreuz-Distel ganze Völker bildet, welche unter einem Könige stehen, dessen Standpunkt sich grad in der Mitte des gewöhnlich ungefähr einen Quadratkilometer einnehmenden Terrains befindet, über welches sich das Volk verbreitet. Reißt man diesen König aus der Erde, so stirbt bis zum nächsten Herbste das ganze Volk ab. Wie will man sich dieses Geheimniß erklären?
    Aber auch das Gegentheil der Liebe, der Haß und die Feindschaft, hat sich in das Reich der Pflanzen geschlichen. Wie es unter den Thieren solche giebt, die nur vom Untergange und dem Blute der anderen

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