Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
Handschuh abgestreift, um Pflug, Hammer und Feder zu führen. Die dunklen, furchterweckenden Schatten des Mittelalters sind verschwunden, und hellere, freundlichere Bilder ziehen über den Vorhang, hinter welchem die nie ruhende Geschichte ihre Gestalten bildet. Zwar wird, so lang die Erde lebende Geschöpfe trägt, auch Kampf und Feindschaft auf ihr herrschen, aber der Einzelne hat nicht mehr den Einzelnen zu fürchten, und wo ein Streit entbrennt, wo das Schwert aus der Scheide fährt und der Schlachtentod seine blutigen Erndten hält, da giebt es Gesetze, Rechte oder doch ein gegenseitiges Uebereinkommen, und die früher rohe Gewalt wird in Rücksichten gekettet, denen sie sich nicht entwinden kann. –
Wo früher die räuberische Selbstsucht im Hinterhalte lag, um sich zerstörend auf den friedlichen Erwerb zu stürzen, da singt jetzt nur noch die Sage ihre romantischen Balladen, und auch sie muß sich immer weiter zurückziehen vor dem nüchternen Sinne der Alltagswelt, welche im fleißigen Schaffen ihre bedeutendste Aufgabe erkennt. Und ist das Raubritterthum nicht ausgestorben, so hat es sich modernisirt und sucht durch geistige Mittel zu erreichen, was es durch Anwendung von Gewalt nicht zu erlangen vermochte. Es hat in dem Gesetze einen furchtbaren und übermächtigen Feind bekommen, den es früher nicht kannte oder zu fürchten hatte und welcher seine nicht ungestraft zu übersteigenden Barrikaden um die Interessen eines jeden Bürgers errichtet.
So ist der wirthschaftlichen Thätigkeit der weite Plan gesäubert; ein Jeder weiß, daß er bei vorsichtigem Wirken die Früchte seiner Anstrengung sich nicht aus der Hand gerungen sehen, sondern selbst genießen werde, und getrost darf er sein Zelt da aufschlagen, seine Hütte da errichten, wo er von der Arbeit seiner Hände oder seinem geistigen Schaffen den besten Erfolg erwartet.
Daher kommt es, daß bei der Anlegung neuer und der Erweiterung schon bestehender Ortschaften in den meisten Fällen nur die Rücksichten des Friedens und die auf den gewerblichen Wohlstand zielenden Berechnungen in Betracht kommen, und wo dieser Wohlstand in Aussicht steht, da sammeln sich die Kräfte, da beginnt ein frisches, fröhliches Schaffen und wirft seine befruchtenden Wellen in die weitesten Kreise, ja selbst in die entlegenste Ferne.
Auf ehrlichem Wege etwas verdienen oder selbst reich werden wollen, ist sicher kein zu verdammendes Bestreben; das Trachten nach Lohn und Gewinn erweckt die im Menschen schlummernden Kräfte, schärft seinen Verstand, stählt seinen Arm und macht ihn zur Ueberwindung großer Hindernisse, zum Ertragen aller Entsagungen und Entbehrungen geschickt. Nur darf dieser Drang nicht zu Unvorsichtigkeiten und Ueberstürzungen führen oder gar in Krankheit ausarten. Er sucht ohne Ermüden nach Verbesserungen und neuen Hilfsmitteln, schreitet von einer Erfindung und Entdeckung zur andern, sucht aus dem Weggeworfenen noch Nutzen zu ziehen, erklimmt die höchste Spitze der wissenschaftlichen Erkenntniß, steigt in die gefährlichen Tiefen der Erde, kämpft mit den Gewalten der Elemente und bohrt selbst die öden Strecken der Wüste an, um ihnen das keimende Gras, die wehende Palme zu entlocken. Er dringt in die fernen Steppen, um der Cultur dort eine bleibende Stätte zu erringen, durchsucht die Schluchten und Höhen unbekannter Gebirge nach dem Reichthum der Metalle, um einem Strome nachfluthender Arbeitskräfte Bahn zu brechen, und selbst da, wo ein Ort bisher keine Hoffnungen auf volkswirthschaftlichen Fortschritt geboten hat, forscht er nach möglichen Hilfsquellen und sucht ihn wenigstens durch die Verbindung mit dem Außenleben in den großen, allgemeinen Verkehr zu ziehen und in den Mitgenuß der Früchte anderer Arbeitsfelder zu bringen.
So sind in fremden Welttheilen jene Städte entstanden, welche in den ersten Tagen ihres Bestehens kaum einige armselige Baracken aufzuweisen hatten und doch in verhältnißmäßig kurzer Zeit ihre Einwohner nach Tausenden und Hunderttausenden zählten. So blühen auch hier im alten Lande an früher ganz unbeachteten Orten plötzlich Niederlassungen empor, deren rauch- und rußgeschwärzte Bevölkerung mit jeder Stunde wächst, und die Speculation legt einen ihrer Eisenstränge um den andern hinaus in das Land, damit jedes Einzelwirken hereingreife in das Getriebe der großen, allgemeinen Arbeit und kein strebsames Bemühen in der Abgeschlossenheit verkümmere.
Es ist nicht mehr der Wunsch nach Schutz und
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