Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
welcher stets neu gefüllt wurde, sobald er den Boden zeigte, ging rundum; Jeder trank und gab ihn dem Nachbar mit der Aufforderung: »Gif’s weiter!« Der Herzog setzte sich mit an die Tafel, aber als der Krug zu seinem Nebenmanne kam, drehte dieser ihm den Rücken zu, trank und reichte den Krug wieder zurück mit den Worten: »Prost, gif’s wieder so ‘num!« Das fuhr dem Herzog in die Nase, er erhob sich, gab sich zu erkennen und hielt nun den durstigen Leuten eine Rede, die sich gewaschen hatte, und deren Schluß ungefähr also lautete, daß sie des Sonntags in die Kirche gehörten, aber nicht in das Wirthshaus. Dabei holte er aus und langte seinem Nachbar zur Linken eine Ohrfeige, daß es schallte, und herrschte ihn dabei an: »Gif’s weiter!« Wohl oder übel mußte der gute Mann Gehorsam leisten; die Ohrfeige ging mit dem Rufe: »Gif’s weiter!« von Einem zum Anderen um die ganze Tafel herum und als sie an den Nachbar zur Rechten kam, der ihm vorhin den Schluck nicht gegönnt hatte, langte er ihm eine neue Auflage hinter die Ohren mit der Aufforderung: »Prost, gif’s wieder so ‘num!« Die Maulschelle wanderte also wieder zurück, und leider verschweigt die alte Chronik, wie oft sie noch »so ‘rum« und »wieder so ‘num« gegangen ist, das wird aber bestätigt, daß die Bauern von jetzt an sehr fleißig in die Kirche gegangen sind.
Wahr ist’s, daß man in der Natur den Herrn ebenso verehren wie in der Kirche; aber dazu gehört ein Verständniß und ein Gemüth, wie es die Wenigsten besitzen. Die Kirche hat ihre volle Berechtigung, so lange ihre Ansprüche nicht störend in die geistige und wirthschaftliche Entwickelung des Volkes eingreifen. Die Güter, welche uns im Heiligthume gespendet werden, sind hoch und wichtig; sie lassen sich nicht mit der Hand erfassen und durch Maaß oder Gewicht bestimmen, aber man kann sie mit dem Herzen ergreifen, und ein solches Herz ist dann geschützt gegen den Schmutz und Staub des irdischen Lebens. Darum bekennt der alttestamentliche Dichter: »Herr, ich habe lieb die Stätte Deines Hauses und den Ort, da Deine Ehre wohnt,« oder er ruft mit sehnendem Herzen: »Eins bitte ich vom Herrn, das möchte ich gern: daß ich im Hause des Herrn bleiben möchte mein Leben lang, zu schauen die schönen Gottesdienste und seinen Tempel zu besuchen!«
Wer hätte nicht jenes eigenthümliche Gefühl empfunden, welches das Kind beschleicht, wenn es um ersten Male die Kirche betritt! Und dieses Gefühl verläßt den Menschen nicht, so lange er lebt, selbst wenn er mit dem Glauben seiner Kinderjahre vollständig gebrochen hätte. Man sage nicht, daß es allein nur in der Art und Weise des Baues liege, solche andächtige und widerstandslose Empfänglichkeit zu erwecken, denn es giebt auch außerhalb des kirchlichen Gebietes ehrwürdige und mächtige Bauwerke, welche diesen Eindruck nicht hervorbringen; der Grund liegt vielmehr in dem Bande zwischen Vater und Kind, zwischen Schöpfer und Creatur, dessen Knoten tief im Innersten des Menschen geschlungen ist, und welches nie zerreißt, selbst dann nicht, wenn das schwache Geschöpf seinen allmächtigen Erzeuger verleugnet. Wem die Kirchenglocken ein einzig Mal erklungen sind, dem klingen sie fort, denn wie die friesische Sage erzählt, daß die Glocken der Dörfer, welche von den gefräßigen Fluthen der Nordsee verschlungen wurden, sich laut und deutlich hören lassen, sobald der Nebel droht, die Wogen sich ballen und der Sturm seine Verderben drohenden Schwingen erhebt, so läuten die Saiten des Herzens zum Gebete, wenn der irdische Boden zu wanken beginnt und die Brandung der Ewigkeit sich fern vernehmen läßt.
In engster Beziehung zur Kirche hat seit jeher die Schule gestanden.
Wem fällt bei letzterem Worte nicht jener verhängnißvolle Tag ein, an welchem er von der fürsorglichen Mutter unter tröstlichem Zureden in jenes Haus geführt wurde, aus dessen geöffneten Fenstern während der wöchentlichen Singstunden die berühmten Compositionen
»Es tanzt ein Pu – Pa – Putzemann
In unserm Haus herum didum«
oder
»Wer meine Gans gestohlen hat,
Der ist ein Dieb,
Wer mir sie aber wiederbringt,
Den hab ich lieb«
in die Ohren der aufmerksam lauschenden Straßenjugend erschallten? Dem armen Schulbankcandidaten war so »duselig und gruselig« zu Muthe bei den Blicken, welche der Herr »Magister« über die Brillengläser hinweg ihm zuwarf; räthselhafte Gegenstände – riesige schwarze Tafeln,
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