Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
Gedanken des Geistes tragend, er ist, was er stets gewesen ist und kann erzählen von jenen Zeiten, in denen die Erde sich noch nicht zum Sphäroiden geballt und ihr Lauf noch nicht sich unter jene Gesetze gestellt hatte, welche sie jetzt bewegen und leiten. Was müßte solch ein Tropfen erzählen können, wenn ihm die Gabe der Rede verliehen wäre! Und ist sie ihm etwa nicht verliehen – wenigstens nur für einen Sinn, welcher gewohnt ist, nach dem Verborgenen zu forschen im Laufe der sichtbaren, der äußeren Schöpfung? Er hat seine Geschichte, dieser Tropfen, öffne nur dein Ohr, du Menschenkind, dann wirst du hören von den Zeiten, die vor Anbeginn waren und wirst auch blicken können hinter die Schleier, welche dem gewöhnlichen Sterblichen die Zukunft in scheinbar undurchdringliches Dunkel hüllen.
Ja wohl ist es wahr, daß eine lange, unermeßliche Kette alle geschaffenen Dinge umschlingt und in bezaubernder Mannigfaltigkeit und allmäligem Fortschreiten vom Vollkommenen zum Vollkommeneren vereinigt. Die Oberfläche des Erdballes, die Tiefen des Meeres, die Eingeweide unseres Weltkörpers, die Lüfte und Wolken der Atmosphäre, die endlosen himmlischen Räume mit ihren ungeheuren Fernen sind ebenso Glieder dieser Kette, wie das kleine Stäubchen, welches wir im Sonnenstrahle schwimmen sehen. Und diese Kette hat nicht von Ewigkeit her bestanden sondern sie ist aus Anfängen entstanden, hat sich durch die Zeiten verlängert und wird wachsen, indem sie jede neu entstehende Erscheinung und Daseinsform als Glied an sich zieht. Sie hat ihre Geschichte, und durch diese Geschichte ziehen sich unzerreißbare Fäden, welche mit untrüglicher Sicherheit das Auge des Forschers in die Tiefen der schöpferischen Entwickelung lenken.
Diese Kette, sie ist die Leiter, auf welcher das Geschöpf von der untersten Stufe des Daseins emporsteigt zu Höhen, welche sich unserem Auge entziehen, zu Höhen, welche bis zu dem Throne führen, auf welchem der Allmächtige sitzt und das Weltall am Zügel führt. Sie ist die einzige rechte und wahre Himmelsleiter, auf welcher die Engel der Wahrheit und Erkenntniß auf und absteigen, um Botschaft zu tragen zwischen dem irdischen Kinde und dem himmlischen Vater.
Auf jeder ihrer Stufen leben und weben Millionen von Geschöpfen, die in Leid und Freud ihr Dasein führen und von denen ein jedes einzelne wieder eine Welt im Kleinen für sich bildet, deren Betrachtung und Geschichte ganze, dicke Bücher füllen würde. Erst die neuere Zeit hat uns Kunde gegeben von diesen »Welten im Kleinen,« die doch wieder gigantisch groß erscheinen für andere Geschöpfe, welche sich der Betrachtung selbst durch die schärfsten Gläser noch lange, lange Reihen von Jahren entziehen werden. Könnte man einmal zusammenschrumpfen zu einem dieser mikroskopischen Wesen und theilnehmen an ihrem Leben und Thun, wie würde man erstaunen über den Reichthum einer Entwickelung, über welche wir ohne Achtung und Kenntniß stolz und rücksichtslos dahinschreiten!
Jenes Reich dunkler Kräfte, deren Wirkung in der Natur wir mit Erstaunen wahrnehmen und welches die Urstoffe alles Irdischen verbindet, läßt Wesen auf Wesen und Wesen aus Wesen entstehen. Wenn sie verwittern, verwelken, sterben und verschwinden, so ist dieses Verschwinden nur ein scheinbares und sich auf die aüßere Form des Individuum beziehendes. Der ewige Prozeß des Werdens und Vergehens zertheilt sie in ihre Urstoffe und führt diese Stoffe in neue Verbindung, in neue Gestalten über. Der Tod ist die Mutter eines neuen, jungen und köstlicheren Lebens. Könnte unser Blick jene Kräfte in allen ihren einzelnen und auf einander folgenden Wirkungen begleiten, so würden sich vor uns die Blätter einer Geschichte entfalten, welche uns die tiefsten Geheimnisse der Schöpfung und des menschlichen Lebens enthüllte. Wir wären Tausende von Stufen Gott, dem Allwissenden näher gerückt und verständen Vorgänge zu begreifen, welche wir jetzt nur mit Staunen und Bewunderung betrachten können.
Alle die leb- und verbindungslos scheinenden Erden, Steine, Metalle, Salze, Säuren und flüchtigen Mineralien, welche uns nur rohe Stoffe sind, die ihr Dasein, ihre Gestalt und Lage elementaren Kräften verdanken und nicht die geringste Spur einer Selbstthätigkeit zeigen, sie sind durchgeistigt von unsichtbaren Mächten, welche ihnen innige und tiefe Verbindung mit dem höchsten organischen Leben geben. Sprechen wir nicht von einem steinernen, kupfernen, eisernen
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