Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)

Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
unzählige Menschen, die das Leben so leicht nehmen, daß sie es als einen Fasching betrachten. Das tut mir wehe, denn ich weiß, daß dann für sie jenes fürchterliche Fasten beginnt, welches Alles, was sie zu besitzen scheinen, von ihnen herunterzehrt. Sie sind vor dieser ihrer Larve zu warnen, die nur nach außen belustigend, nach innen aber tragisch wirkt. Hier ist der Kunst fast noch mehr Macht gegeben als selbst der Religion, denn sie richtet sich nicht nur auf das Innenleben, sondern auf die Harmonie zwischen innen und außen. Der materiellen Wissenschaft gefällt der Maskenscherz. Indem sie sich als Beherrscherin des äußeren Lebens fühlt, setzt sie sich Gottes Strahlenkrone auf und ihm die Narrenkappe. Die Religion als Gebieterin des Innenlebens, ist nicht robust und körperlich genug, um gegen solche Narretei zu kämpfen und zu siegen. Da komme denn die Kunst um abzuläuten: »Die Larven weg; wir wollen Wahrheit haben!« und wenn sie ernstlich will, wird es gelingen. Es kann ihr nicht genug gesagt werden, daß sie die heilige Pflicht hat, dies zu tun. Zwar soll sie Allem, was sie schafft, jenes »befreiende Lächeln« geben, durch welches sie sich auch selbst erlöst, doch hat dieses Lächeln aus dem Herzen der Menschheit zu kommen und nicht bloß imitiert und Maske zu sein!
    Briefe über Kunst
     
    V.
     
    Sehr geehrter Herr Redakteur!
     
    Der nördliche Orientale bezeichnet den Monat März als die »Zeit der Wolken«. Die Erde wehrt sich gegen den Himmel. Sie hüllt sich in nebeldunstige Schleier, um sich gegen seine Liebe, gegen sein Licht und seine Wärme einzupanzern. Sie vergißt von Jahr zu Jahr immer und immer wieder, daß diese Auflehnung zwar in der Natur ihres Materialismus liegt, sie aber doch nicht davor bewahrt, der Weltenseele gehorchen zu müssen. Sie ist überhaupt vergeßlich, diese liebe, alte Erde. Sollte sie jemals ein Gedächtnis besessen haben, so hat sie es verloren, vollständig verloren. Selbst wenn ihr einmal eine kleine, kurze Erinnerung aufblitzt, so stammt das nicht aus ihr selbst, sondern es kommt von oben. Sie weiß kein Wort mehr davon, daß sie sich durch die zusammenhängende Reihe ihrer Geschöpfe aus Stoff in Kraft, aus Kraft in Seele und aus Seele in Geist zu verwandeln hat, um auf diesem nicht etwa wunderbaren, sondern ganz und gar natürlichen Wege zu dem zurückzukehren, aus dessen Mund sie stammt.
    Diese Vergessenheit haftet Jedem an, den sie, die Erde erzeugt. Auch kein Darwin und kein Häckel wird nachzuweisen vermögen, daß sich ein Mensch auf seinen Affen, ein Vogel auf seine Eidechse, eine Pflanze auf ihr Mineral besinnen kann! Darum bewegt sich unser Leben so tief unten an der Erde hin. Die Menschheit kriecht im Staube wie ein Wurm, wie eine Raupe, die nicht weiß, daß sie in Wahrheit dem Reiche herrlicher, geflügelter Wesen angehört. Was solche Würmer wohl bei sich denken, wenn sich, während sie die Rosen- und Blumenstöcke kahl fressen ein Falter   unter sie mischt, um süßen Nektar aus der Blüte zu trinken und sie dadurch zum Duften bewegt, ohne ihr zu schaden! Und ob es wohl hier oder da einen Sterblichen gibt, der das Unsterbliche, wenn es sich zu ihm herniederläßt, als verwandt empfindet und sich ihm nachzuschwingen strebt? Man behauptet, daß der Wurm nicht denken könne. So behauptet man auch, daß der Mensch nichts Göttliches zu erkennen und nichts Göttlichem nachzustreben vermöge, weil es überhaupt nichts Göttliches gebe. Aber ob die Raupe ihn sieht oder nicht, der Schmetterling ist da und wenn der niedere Wurm nicht denken kann, so denkt doch gewiß der höhere und eben weil er der höhere ist, so gedenkt er jedenfalls nichts anderes, als nur das Eine, nicht Wurm zu bleiben. Nicht Wurm bleiben wollen, heißt aber, sich auf das höhere Reich besinnen, dessen Gedächtnis der niederen Natur entschwindet.
    Die verlorene Erinnerung an Himmlisches, an Ewiges uns zurückzugeben, ist Aufgabe nicht nur der Religion, sondern auch der Kunst. Beide trachten über die Nebel und Wolken des irdischen Märzes hinauf, beide streben nach jenen Strahlen und nach jenen Farben, die niemals dunkeln, sondern ewig bleiben, weil sie nicht von der Erde sind. Sie können auch in der Seele des Menschen nicht verlöschen. Ihr Verschwinden ist nur scheinbar, ist eine Folge irdischer Düsterheiten und Schatten, die unser Gedächtnis verschleiern. Wem es gelingt, diese Wolken zu durchdringen, vor dessen Auge zerreißt der Vorhang von Saïs, hinter dem nicht,

Weitere Kostenlose Bücher