Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
zurück, und in einem dem Höhenzuge vorgelegenen Sumpfstücke stand ein Storch und sah sich ernst und nachdenklich um. Es war, als such er nach einem Wahr- und Erkennungszeichen und könne nicht einig mit sich werden, ob es auch die rechte Gegend sei.
Moll, dem ich meine Bemerkung mitteilte, fand es auch und verbreitete sich dann eingehender über Störche, namentlich aber darüber, daß es doch eigentlich ein merkwürdiger und zugleich auch höchst anspruchsloser Vogel sei, der immer wieder ins Beeskow-Storkowsche komme, während ihm doch die ganze Welt offenstehe.
All das sprach er in sehr gebildetem Deutsch, mit einem Dialektanklange, der weder märkisch noch berlinisch war, obwohl er von beiden einen Beisatz hatte. Dies fiel mir natürlich auf, und ich sagte: »Sie sprechen so anders, Moll; wo sind Sie eigentlich her?«
»Ich? Ich bin aus Hinterpommern.«
»Ist es möglich?«
»Ja, was will man machen.«
»Und von wo denn?«
»Von Köslin. Das heißt, ein bißchen ab, so nach ‘m Gollenberg zu.«
»Da sind Sie ja Nachbar von Bismarck.«
»Nei, der liegt mehr rechts weg, so zwischen Rummelsburg und Schlawe. Meine Gegend ist doch noch anders. Und ich sag Ihnen, eine propre Gegend.«
»Ich dacht immer, es wäre da nicht viel los.«
»Ja, das haben mir schon viele gesagt. Aber es is nicht so. Da is mehr los als hier. Denn was haben Sie denn hier? Eine Kussel und dann wieder ‘ne Kussel. Und mal ‘ne Kräh und, wenn’s hoch kommt, ‘ne Bockmühle.«
»Nu gut. Aber was haben Sie denn? Ist es denn besser bei Ihnen?«
»Nu, besser is es schon, denn schlechter is nich möglich. Und das macht alles der Charakter. Der Charakter is immer die Hauptsache. Sehen Sie, bei uns gibt es lauter amtliche Menschen.«
»Und alle zehn Schritt ‘nen Edelmann.«
»Ach, lieber Herr, ein Edelmann is gar nich so schlimm. Ich bin auch für Freiheit; aber was so ‘n richtiger Edelmann is, na, viel tut er woll freilich auch nich, aber er tut doch immer was . Und der Bauer is auch janz anders bei uns.«
»Ich hab immer gefunden, der Bauer ist überall derselbe. Der Bauer ist überall hart.«
»Is schon richtig. Aber doch alles mit ‘n Unterschied. Un warum is er hier so hart, ich meine so schlimm-hart? Weil er selber nichts hat. Es is ja die reine Hungerleiderei. Sehen Sie sich doch diesen Weg und diese Schonung an. Der reine gelbe Sand. Und wo der reine gelbe Sand is, is auch immer der reine gelbe Neid. Und gönnt keiner dem andern was. Und von was geben oder helfen steht nu schon gar nichts drin.«
»Hören Sie, Moll, ich bin zwar selber ein Märker, aber ich glaube wahrhaftig, Sie haben ein bißchen recht.«
»I, freilich hab ich recht. Es is alles pauvre hier, und von ‘s Pauvresein is noch nie nich was Gutes gekommen.«
Unter solchen Gesprächen waren wir bis in Rauen selbst hineingefahren. Auch dieses, wie der Hügelabhang draußen, zeigte den Bergwerkscharakter; alle Häuser sahen rußig und schmucklos aus, und nur eine modische Petroleumlampe mit blauem Ständer und weißer Milchglasglocke war überall als einziges Zierstück in die Fenster gestellt.
In der Kirche, die für das Fest geputzt und gesäubert wurde, trafen wir einen Ortsangesessenen, an den ich mich alsbald mit der Frage wandte: »was die rauensche Kirche denn wohl habe«.
»Wir haben gar nichts als den alten Grabstein vorm Altar. Alles, was in Schnörkelbuchstaben daraufstand, ist weggetreten; aber die Rauener sagen, es wär ein Bischof gewesen. Und ich denke mir, es wird wohl ein Bischof gewesen sein.«
»Ein Bischof? Hören Sie…«
»Ja, warum soll es kein Bischof gewesen sein? Es waren ihrer ja so viele. Welche liegen in Fürstenwalde, welche liegen in Beeskow, und warum soll nicht wenigstens einer in Rauen liegen? Er kann ja ‘ne Vorliebe für Rauen gehabt haben.«
»Glauben Sie?«
Diese letzten Worte waren schon vor dem vorerwähnten Altar gesprochen worden, und wir schoben jetzt eine längliche Strohdecke fort, unter der der angebliche Bischofsstein gelegen war. Er war wirklich ganz abgetreten, bis auf eine einzige, den Schriftzügen oder Buchstaben nach aus der Wende des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts herstammende Zeile, die durch einen schmalen, nur etwa zwei Zoll breiten Vorsprung der Altarstufe geschützt und gerettet worden war. Diese Zeile lautete: »v. Wulffen, Tempelb…« Es war also ein Tempelberger Wulffen, der hier begraben lag, und kein Bischof dieses Namens. Wie denn solcher überhaupt nicht existiert
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