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Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)

Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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getroffen.
    »Wozu pochen, Marie«, sagte er, »der Alte würde uns doch nicht hören. Und so wären wir denn Gefangene.«
    »Ja, aber in einer Kirche gefangen. Und auf alle Fälle, die Fenster sind nicht hoch… und Renate wird unsere Abwesenheit bemerken.«
    »Gewiß, aber hoffen wir, nicht zu früh.«
    Marie hörte, wie seine Stimme zitterte.
    »Gut«, sagte sie, »so sind wir denn Gefangene. Machen wir das Beste davon und nutzen wir die Zeit. Es verlohnt sich immer zu lernen, und ich wette, Sie kennen unsere Kirche noch nicht. Niemand kennt sie; jeder glaubt genug getan zu haben, wenn er das große holländische Monument bewundert und den Namen des alten Matthias von Vitzewitz oder wohl gar den seiner tugendreichen Veronika von Beerfelde mühsam entziffert hat. Das heißt dann die Hohen-Vietzer Kirche kennen. Wir haben aber hier vielerlei.«
    Sie sprach dies alles in beinahe heiterem Tone, ganz ersichtlich, um ihre Befangenheit zu verbergen, und als Tubal, statt aller andern Antwort, ihr nur immer forschender ins Auge sah, setzte sie rascher und hastiger hinzu: »Ich muß Ihnen das alles zeigen. So verlieren wir diese Minuten nicht. Von dem zerbrochenen Taufstein, von dem die Leute sagen, er sei tausend Jahre alt, will ich Ihnen nicht erst erzählen, Sie glauben es doch nicht; aber hier rechts das Muttergottesbild, das müssen Sie sehen. Sehen Sie, die Maria hat ihr Christkind aus den Händen fallen lassen.«
    »Vielleicht, weil sie wieder freie Hand haben wollte.«
    »O nicht doch, das ist Spott und gottlos. Und ich sehe schon, es paßt so wenig für Sie wie der tausendjährige Taufstein. Aber hier, das ist etwas, das paßt für uns beide«, und dabei zeigte sie mit ihrer Hand auf einen alten, aufrechtstehenden Grabstein, der in die Wandstelle dicht neben dem Muttergottesbilde eingemauert war.
    Tubal trat an den Stein heran und las: »Katharina von Gollmitz.«
    »Ja, das war ihr Name.«
    »Lassen wir den Namen«, sagte Tubal, »was soll er uns? Was sollen uns die Toten?«
    »Doch, doch, Sie müssen von ihr hören. Sie war die Freundin eines damaligen Fräulein von Vitzewitz , den Vornamen hab’ ich vergessen, aber nehmen wir an, daß sie Renate hieß.«
    »Nicht Renate.«
    »Ja, nehmen wir an, daß sie Renate hieß. Und ihre Freundin, eben diese Katharina von Gollmitz, deren Grabstein Sie hier vor uns sehen, die starb hier und wurde hier begraben. Aber das tote Fräulein von Gollmitz hatte Sehnsucht in ihre Heimat und wollte fort von hier und aus dem fremden Grabe wieder heraus.«
    »Ich glaub’ es nicht.«
    »Oh, Sie müssen es glauben, denn es ist wahr, und es weiß es jedes Kind hier. Und immer, wenn das Fräulein von Vitzewitz über diesen Grabstein hinschritt, der damals noch mit den andern Steinen im Mittelgange lag, dann hörte sie, wie die Freundin rief: ›Renate, mach auf!‹«
    Tubal lächelte.
    »Und so rufen auch wir jetzt; nicht wahr?«
    »Nicht ich.«
    »Doch, doch, Sie müssen es auch rufen, denn so gemahnt uns der Grabstein. Und alles, an das uns die Grabsteine mahnen, auch wenn sie stumm sind, das müssen wir tun.«
    »Ja; nur nicht heute, nur nicht in dieser Minute. Wir leben , Marie.«
    »Aber wie lange noch?« antwortete diese.
    Tubal stutzte. Es war etwas in ihrem Wort, das ihn getroffen hatte. Er entschlug sich indessen des Eindrucks wieder und sagte nur: »Lassen wir die Grabsteine.«
    Und damit schritten sie wieder in den Mittelgang der Kirche zurück.
    Als sie die vordersten Bänke beinah erreicht hatten, unterbrach Tubal das lange Schweigen und sagte mit weicherer Stimme: »Nicht wahr, Marie, wir wollen gute Kameraden sein? Das Schicksal hat uns hier zusammengeführt. Ist es nicht, als ob wir einander gehören sollten?«
    »Nein, nicht wir… Aber horch, ich höre Stimmen.«
    »Welche?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Nicht unsere Stimmen, Marie, nicht Ihre , nicht die meine? «
    »Nein, nein, Renatens.«
    Sie betonte den Namen, und er fühlte wohl, weshalb. Aber außer sich ergriff er jetzt ihre Hand und sagte mit rasch sich steigernder Heftigkeit: »Renate und immer wieder Renate. Wozu, was soll es? Ich bitte Sie, nur jetzt nicht diesen Namen; ich mag ihn nicht hören. Er will sich zwischen uns stellen, aber er soll es nicht. Nein, nein, Marie!« Und er warf sich nieder und umklammerte sie, während er sein glühendes Gesicht an ihrem Kleide barg. Einen Augenblick war es ihr, als ob sie nach Hilfe rufen oder in der pochenden Angst ihres Herzens das Altartuch erfassen sollte, aber

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