Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
Erfahrung bringen können. Von einigen wurde mir Münchengrätz, von anderen dasim Egerschen gelegene Schloß Görkau, von noch anderen Schloß Rothenhaus genannt.
Anderthalb Stunden später waren wir in Lomnitz. Wir richteten unsere Schritte sofort nach dem an einer Ecke des Ringes gelegenen Lazareth. Wer beschreibt die Freude der braven Grenadiere vom Leib-Regiment, als sie ihren Offizier eintreten sahen, unter dem sie, an dem Wasserlaufe der Czidlina hin, am Tage von Gitschin so tapfer gefochten hatten. Von den vielen Verwundeten dieses Regiments, die hier gelegen hatten, waren nur noch fünf zugegen; vier derselben hatten wir in den verschiedenen Zimmern des Lazareths bereits begrüßt. Wir suchten nun nach dem fünften. Bei diesem Suchen führte uns ein glücklicher Zufall in eins der ersten Zimmer zurück. Ein glücklicher Zufall, wenn nicht mehr. Schon während unserer ersten Anwesenheit in diesem mit acht Betten belegten Räume war es mir aufgefallen, daß sich, all die Zeit über, aus einer Ecke des Zimmers zwei Augen mit einem unendlich schmerzlichen Ausdruck auf uns gerichtet hatten. Jetzt (der herzutretende Arzt übernahm die Vermittelung) sollte uns klar werden, was dieser schmerzliche Blick bedeutet hatte. Der beinaheregungslos Daliegende, mit wachsfarbenem Gesicht und jenem verschleierten Augenausdruck, der wenig Hoffnung auf Genesung giebt, war auch ein Preuße, ein Brandenburger (vom 48sten), ein unmittelbarer Landsmann jener Grenadiere vom Leib-Regiment, und doch hatte er auf dem Punkt gestanden, nur weil er einem anderen Regiments-Verbande angehörte, uns ohne Gruß und ohne Trost, wie an einem Fremden, an sich vorbeigehen zu sehen. Welche bitteren Empfindungen mußten durch das Herz dieses Mannes gegangen sein, als er verlassen und vergessen dalag, während seine Landsleute eine Scene des Wiedersehens feierten. Nun aber wurde der bittere Kelch von ihm genommen und im Eifer, eine unverschuldete Kränkung auszugleichen, machten wir ihn zum Helden dieser Stunde. Freilich, nur das dankbare Lächeln eines Sterbenden war unser Lohn.
Ueber das Schlachtfeld von Gitschin, das wir auf unserer Fahrt nach Lomnitz zur Linken gehabt hatten, ging nun unser Weg zurück. Wir besuchten die einzelnen Dörfer, Czidlina, Brzka, Diletz, Brada, in denen die zwölf Bataillone der 5. Division einer doppelten Uebermacht gegenüber gestanden und erschöpft von Kampf und Junihitze, viele Stunden lang einen schweren Stand gehabt hatten. Von Zerstörung wenig zu bemerken. Lachend lag alles im Sonnenschein da, kaum daß hier und dort ein Streifen niedergetretenen Kornes oder die schwarzen Feuerstellen eines Lagers, auf die große Kriegswoche hindeuteten, die, wie eine mächtige, aber rasch verrinnende Welle auch über dies schöne Stück Land hinweggegangen war.
Nur wenige Worte über das Terrain von Gitschin und zwar ganz im Allgemeinen. Gitschin liegt am Ausgang eines Doppelpasses, weshalb hier auch am 29. Juni einedoppelte Schlacht geschlagen wurde. Die eine ließe sich das Gefecht von Nieder-Lochow, die andere das Gefecht von Brada nennen; auch kommen beide unter diesem Namen vor. Jene wurde von der dritten Division (Pommern), diese von der fünften Division (Brandenburger) gewonnen. Zu einem eigentlichen Zusammenwirken beider kam es nicht; beide Gefechte wurden selbstständig geführt und die eine wie die andere Division erfuhr erst am Abend des Tages, daß »hinter dem Berge« auch gefochten worden war. Nichtsdestoweniger kann kein Zweifel sein, daß man sich, wenn auch ohne Wissen davon, gegenseitig unterstützte. Jede der beiden Divisionen würde einen schwereren Stand gehabt haben, ja in ihren Anstrengungen vielleicht gescheitert sein, wenn nicht die Nebendivision, in dem einen Fall wie in dem andern, die Kraft des Feindes zersplittert hätte. Wie während des ganzen Krieges, waren es auch an dieser Stelle die Sachsen , die sich auf feindlicher Seite mit besonderer Bravour schlugen.
Um die Vorgänge dieses Tages und insonderheit die Getrenntheit und Selbstständigkeit zweier dicht neben einander stattfindenden Kämpfe zu begreifen, ist es nöthig, von dem Terrain von Gitschin (das wir bereits einen Doppelpaß nannten) ein einigermaßen klares Bild zu haben. Gitschin selbst liegt im Thale, aber, fast unmittelbar vor den Thoren desselben, erhebt sich ein Felsrücken, der in schräger Linie nach Nordwesten hin verläuft. Zu beiden Seiten dieses Felsenrückens läuft eine Landstraße, von denen die westliche die
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