Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
mit der Hand zu mir herübergrüßte. Kein Zweifel, es war mein Freund Hermann Scherz, alten Ruppiner Angedenkens, mit dem ich meine frühsten Kinderjahre und dann später auch meine Gymnasialzeit verlebt hatte. »Wo kommt denn der her? Was will denn der ?«
Ich hatte nicht lange auf Antwort zu warten. Er trat an mich heran, begrüßte mich ganz kurz, beinah nüchtern und sagte dann mit jener Ruhe, drauf er sich als Märker wundervoll verstand: »Is mir lieb, daß ich dich noch treffe. Willst du mit nach England? Übermorgen früh.« Daß ich dabei sein Gast sein sollte, verschwieg er, doch verstand es sich von selbst, da niemand existierte, der in meine Geldverhältnisse besser eingeweiht gewesen wäre als er.
Ich war wie gelähmt. Denn je herrlicher mir das alles erschien, je schmerzlicher empfand ich auch: »Ja wie soll das alles zustande kommen? Es ist eben unmöglich. Morgen mittag Ablösung und übermorgen früh nach England. Mir bleiben höchstens vier Stunden, um den nötigen Urlaub zu erbitten. Und wird man ihn mir gewähren?«
Ich war in diesen Betrachtungen fast noch unglücklicher, als ich einen Augenblick vorher glücklich gewesen war, und sprach dies meinem Freunde auch aus. »Ja, wie du’s machen willst, das ist deine Sache. Übermorgen früh.«
Und damit trennten wir uns.
Der Mensch verzweifelt leicht, aber im Hoffen ist er doch noch größer, und als ich zehn Minuten später antreten mußte, um mit dem Ablösungstrupp nach der Oberwallstraße hin abzumarschieren, stand es für mich fest, daß ich übermorgen früh doch nach England aufbrechen würde.
Was mir zunächst bevorstand, entsprach freilich wenig diesem Hochflug meiner Seele. Denn ich war noch keine halbe Stunde auf Posten, als ich, von den in Front der Haustür gelegenen Sandsteinstufen her, einen alten spitznäsigen Diener auf mich zukommen sah, der mir augenscheinlich etwas sagen wollte. In unmittelbarer Nähe von mir aber kam er wieder in ein Schwanken, weil er mittlerweile die Achselschnur, das Abzeichen der Freiwilligen, erkannt hatte. Sehr wahrscheinlich war er ein Sachse, wie der alte Müffling selbst, und sah sich als solcher durch Artigkeitsrücksichten bedrängt, die der Märker – und nun gar erst der Berliner – nie kennt oder wenigstens damals nicht kannte. Schließlich aber bezwang er sich und sagte, während er mir einen rostigen, zu einer kleinen Seitenpforte gehörigen Schlüssel einhändigte: »Bitte, Freiwilliger, dies ist der Schlüssel… der Schlüssel dazu… die Frauen kommen nämlich heute.« Nur Leute, die noch das Berlin der dreißiger und vierziger Jahre gekannt haben, werden sich in diesem für moderne Menschen etwas pythisch klingenden Ausspruch leicht zurechtfinden, Nachgeborne nicht; ich indessen, als Kind jener Zeit, wußte sofort Bescheid, schob den Schlüssel in meinen Rock und überließ mich, während der spitznäsige Mann wieder verschwand, meinen auf Augenblicke sehr herabgestimmten Betrachtungen. Aber doch auch wirklich nur auf Augenblicke. Nicht lange, so richtete ich mich an dem Gegensätzlichen, das in der Sache lag, ordentlich auf und rechnete mir abergläubisch heraus, daß dieser Zwischenfall eine gute Vorbedeutung für mich sei. Große Dinge, so sagte ich mir, gewönnen nur durch solchen Witz des Zufalls, und ob ein derartiges Satyrspiel der eigentlichen Aufführung folge oder voraufgehe, sei am Ende gleichgültig. Ich wurde immer mobiler und übersprang alle Zweifel in immer kühneren Sätzen.
Die lange Nacht ging vorüber, auch der Vormittag, und zwischen eins und zwei war ich wieder in der Kaserne, wo ich nun zunächst vor dem Feldwebel mein Herz ausschüttete. »Ja«, sagte dieser, »dann nur schnell nach Haus und von da zum Hauptmann.« Und zwischen drei und vier trat ich dann auch bei diesem an.
»Nun, Freiwilliger, was bringen Sie…?«
»Herr Hauptmann, ich möchte gern nach England.«
»Um Gottes willen…«
»Ja, Herr Hauptmann, ein Freund will mich mitnehmen; also ganz ohne Kosten, alles umsonst. Und so was ist doch so selten…«
»Hm, hm«, sagte der liebenswürdige alte Herr, während ich deutlich die Wirkung meiner zuletzt gesprochenen Worte beobachten konnte. »Na, wie lange denn?«
»Vierzehn Tage.«
»Vierzehn Tage. Ja, wissen Sie, solchen langen Urlaub kann ich Ihnen gar nicht geben. Den muß der Oberst geben. Es ist jetzt dreiviertel, und bis vier ist er da. Machen Sie, daß Sie hinkommen.«
»Zu Befehl, Herr Hauptmann.«
Und ich machte kehrt, um gleich
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