Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
und alle kamen bekneipt nach Hause.
Daß Wollheim ein schöner Mann gewesen wäre, wird sich nicht behaupten lassen, aber er besaß einen so echten und ausgesprochenen semitischen Rassenkopf, daß er jedem, der ein Auge für derlei Dinge hatte, notwendig auffallen mußte, was denn auch dahin führte, daß ihm, während einer Tunnel-Sitzung, sein Gesicht auf den Daumennagel eines unserer Maler wegstibitzt wurde, natürlich nur, um bald darauf auf einem berühmt gewordenen Kunstblatte weiterverwandt zu werden.
Wollheim war sehr klug und besaß vor allem ein hervorragendes Sprachtalent. Er hatte sich aber das »Fabulieren« so hochgradig angewöhnt, daß es von ihm hieß, »er spräche dreiunddreißig Sprachen und löge in vierunddreißig«. Dies sein beständiges Fabulieren und vielleicht mehr noch seine Haltung, in der ein gewisses schlaffes Sichgehenlassen hervortrat, ließ es geschehen, daß frisch eingetretene Mitglieder sich Schraubereien mit ihm erlauben zu dürfen glaubten, was dann aber jedesmal eine große Niederlage für die Betreffenden zur Folge hatte. Denn sein Wissen und sein Witz waren immer sehr überlegen. Er war jedem Scherz zugänglich; wer aber seinen Spaß mit ihm treiben wollte, dem gegenüber verstand er keinen Spaß. So schlaff er aussah, so energisch war er.
1852, wie schon hervorgehoben, verließ er Berlin, um nach Hamburg zurückzukehren. Er blieb nun, durch viele Jahre hin, in seiner Geburtsstadt und wandte sich zunächst ganz dem Theater zu. 1858 bis 1861 war er Direktor des Stadttheaters, 1868 des Floratheaters in Sankt Georg. Der deutsch-französische Krieg rief ihn noch einmal in die Welt hinaus, und er wurde Redakteur des »Moniteur officiel du Gouvernement général à Reims«. In dieser Stellung war er mit so gutem Erfolg tätig, daß ihm das Eiserne Kreuz verliehen wurde.
Dies war aber auch der letzte Glücksschimmer, der ihn traf. Es ging rasch bergab, und was ihn schließlich vor dem Äußersten bewahrte, waren nicht seine Talente, sondern hochherzige Unterstützungen, die sein Vetter Cäsar Wollheim in Berlin ihm zuwandte. Diese Zuwendungen blieben ihm auch bis an sein Ende, trotzdem sein letztes Tun – eine von der Familie Cäsar Wollheim beanstandete Heirat – seine Situation ziemlich ernstlich gefährdete.
Seine letzten Lebensjahre scheint er in Einsamkeit, Krankheit und Sorge verbracht zu haben, und zwar außerhalb Hamburgs; wenigstens starb er im Sankt Hedwigs-Krankenhause zu Berlin im Oktober 1884.
Viertes Kapitel
Theodor Storm
Storm kam Weihnachten 1852 von Husum nach Berlin, um sich hier, behufs Eintritts in den preußischen Dienst, dem Justizminister vorzustellen. Er sah sich im Ministerium wohlwollend und entgegenkommend, in literarischen Kreisen aber mit einer Auszeichnung empfangen, die zunächst dem Dichter, aber beinahe mehr noch dem Patrioten galt. Denn alle anständigen Menschen in Preußen hatten damals jedem Schleswig-Holsteiner gegenüber ein gewisses Schuld- und Schamgefühl. In unserem Rütli-Kreise – »Rütli« war eine Abzweigung des Tunnels – wurden die Storm zuteil werdenden Huldigungen allerdings noch durch etwas Egoistisches unterstützt. Wir gingen nämlich gerade damals mit dem Gedanken um, ein belletristisches Jahrbuch, die »Argo«, herauszugeben, und wünschten uns zu diesem Zwecke hervorragender Mitarbeiter zu versichern. Dazu paßte denn niemand besser als Storm, der auch wirklich ins Netz ging und uns eine Novelle zusagte. Wir sahen uns dadurch in der angenehmen Lage, zum Weihnachtsfeste 1853 Storms Erzählung »Ein grünes Blatt« – die neben der gleichzeitig in unserem Jahrbuche erscheinenden Heyseschen »L’Arrabbiata« kaum zurückstand – bringen zu können. Die Zusage zu diesem Beitrage hatten wir schon bei des Dichters Anwesenheit in Berlin empfangen, aber das Nähere war einer Korrespondenz vorbehalten worden, die sich dann auch bald nach seiner Rückkehr in sein heimatliches Husum entspann. Aus dieser Korrespondenz gebe ich hier einiges.
Husum, 23, März 1853
Herzlichen Dank für Ihren lieben Brief, für Ihre Mitteilungen und vor allem für den guten Glauben an mich. Ob ich ihn diesmal rechtfertigen werde, weiß ich nicht. Glauben Sie, daß das beifolgende »Grüne Blatt« eine Stelle in Ihrem Jahrbuch verdient, so stelle ich es zur Disposition. Ich war damit beschäftigt, es in Hexameter umzuschreiben, und habe bei diesem schließlich wieder aufgegebenen Umarbeitungsversuch alles Urteil über meine Arbeit
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