Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
inzwischen vorgerückten Souper zu einer Art Verzweiflungskampf zwischen ihm und dem die Teller rasch wechseln wollenden Diener geführt hätte. Ganz dasselbe hätte Storm passieren können oder wenn nicht dasselbe, so doch sehr Ähnliches. Ich habe manches der Art mit ihm erlebt. Er hatte, wie so viele lyrische Poeten, eine Neigung, alles aufs Idyll zu stellen und sich statt mit der Frage: »Tut man das?« oder: »Ist das convenable?« nur mit der Frage zu beschäftigen: »Entspricht das Vossens ›Luise‹ oder dem redlichen Tamm oder irgendeiner Szene aus Mörikes ›Maler Nolten‹ oder aus Arnims ›Kronenwächtern‹?« Ja, ich fürchte, daß er noch einen Schritt weiterging und seine Lebensvorbilder in seinen eigenen, vielfach auf Tradition sich stützenden Schöpfungen suchte. Man kann dies nun sicherlich reizend finden, auch ich kann es, aber trotzdem bin ich der Ansicht, daß diesem Verfahren ein Hauptirrtum zugrunde liegt. Es soll sich die Dichtung nach dem Leben richten, an das Leben sich anschließen, aber umgekehrt eine der Zeit nach weit zurückliegende Dichtung als Norm für modernes Leben zu nehmen, erscheint mir durchaus falsch. In Storms Potsdamer Hause ging es her wie in dem öfters von ihm beschriebenen Hause seiner Husumer Großmutter, und was das Schlimmste war, er war sehr stolz darauf und sah in dem, was er einem als Bild und Szene gab, etwas ein für allemal »poetisch Abgestempeltes«. Das Lämpchen, der Teekessel, dessen Deckel klapperte, die holländische Teekanne daneben, das alles waren Dinge, darauf nicht bloß sein Blick andächtig ruhte – das hätte man ihm gönnen können –, nein, es waren auch Dinge, die gleiche Würdigung von denen erwarteten, die, weil anders geartet, nicht viel davon machen konnten und durch das Absichtliche darin ein wenig verstimmt wurden. Wie mir einmal ein Hamburger erzählte: »Ja, da war ja nun letzten Sommer Ihr Kronprinz bei uns, und da wird er wohl mal gesehen haben, was ein richtiges Mittagessen ist« – so glaubte Storm ganz ernsthaft, daß eine wirkliche Tasse Tee nur aus seiner Husumer Kanne kommen könne. Die Provinzialsimpelei steigert sich mitunter bis zum Großartigen.
In einem gewissen Zusammenhange damit stand die Kindererziehung. Auch hier nahm Storm einen etwas abweichenden Standpunkt ein und sah mit überlegenem Lächeln auf Pedantismus und preußischen Drill hernieder. Er war eben für Individualität und Freiheit, beides »ungedeelt«. Eines Abends saßen wir munter zu Tisch, und die Bowle, die den Schluß machen sollte, war eben aufgetragen, als ich mit einem Male wahrnahm, daß sich unser Freund Merckel nicht nur verfärbte, sondern auch ziemlich erregt unter dem Tisch recherchierte. Richtig, da hockte noch der Übeltäter: einer der kleineren Stormschen Söhne, der sich heimlich unter das Tischtuch verkrochen und hier unseren kleinen Kammergerichtsrat, vor dem wir alle einen heillosen Respekt hatten, in die Wade gebissen hatte. Storm mißbilligte diesen Akt, hielt seine Mißbilligung aber doch in ganz eigentümlich gemäßigten Grenzen, was dann, auf der Rückfahrt, einen unerschöpflichen Stoff für unsere Coupéunterhaltung abgab. Schließlich, so viel ist gewiß, werden die Menschen das , was sie werden sollen, und so darf man an derlei Dinge nicht allzu ernste Betrachtungen knüpfen; aber das hab’ ich doch immer wieder und wieder gefunden, daß Lyriker, und ganz besonders Romantiker, durch erzieherische Gaben nur sehr ausnahmsweise glänzen.
Drei Jahre, bis Herbst 56, blieb Storm in Potsdam; dann ward er nach Heiligenstadt im Eichsfelde versetzt. »Hier in diesem mehr abseits gelegenen, von Waldbergen umkränzten thüringischen Städtchen, gewissermaßen einem Pendant zu seinem schleswigschen Husum, gestaltete sich ihm das Leben wieder innerlicher, traulicher, befriedigender.« So heißt es in Paul Schützes schon eingangs zitiertem Buche. Desgleichen hat L. Pietsch im zweiten Teile seiner »Lebenserinnerungen« sehr anziehend über diese Heiligenstädter Tage berichtet. Ein Kreis froher teilnehmender Menschen sammelte sich hier um Storm, unter ihnen in erster Reihe Landrat von Wussow und Staatsanwalt Delius.
Fast alljährlich unternahm Storm von Heiligenstadt aus Reisen in die Heimat, entweder nach Husum, wo ihm noch die Eltern lebten, oder nach Segeberg, dem Geburtsort seiner Frau. Mehrmals war er auch in Berlin, aber nur eines dieser Besuche – fast um dieselbe Zeit, wo Storm nach Heiligenstadt ging, ging ich
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