Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
zwölf Uhr sein, als wir durchs Brandenburger Tor zurückkamen und beide das Verlangen nach einem Frühstück verspürten. Ich schlug ihm meine Wohnung vor, die nicht allzuweit ablag; er entschied sich aber für Kranzler. Ich bekenne, daß ich ein wenig erschrak. Storm war wie geschaffen für einen Tiergartenspaziergang an dichtbelaubten Stellen, aber für Kranzler war er nicht geschaffen. Ich seh’ ihn noch deutlich vor mir. Er trug leinene Beinkleider und leinene Weste von jenem sonderbaren Stoff, der wie gelbe Seide glänzt und sehr leicht furchtbare Falten schlägt, darüber ein grünes Röckchen, Reisehut und einen Schal. Nun weiß ich sehr wohl, daß gerade ich vielleicht derjenige deutsche Schriftsteller bin, der in Sachen gestrickter Wolle zur höchsten Toleranz verpflichtet ist, denn ich trage selber dergleichen. Aber zu so viel Bescheidenheit ich auch verpflichtet sein mag, zwischen Schal und Schal ist doch immer noch ein Unterschied. Wer ein Mitleidender ist, weiß, daß im Leben eines solchen Produkts aus der Textilindustrie zwei Stadien zu beobachten sind: ein Jugendstadium, wo das Gewebe mehr in die Breite geht und noch Elastizität, ich möchte sagen, Leben hat, und ein Altersstadium, wo der Schal nur noch eine endlose Länge darstellt, ohne jede zurückschnellende Federkraft. So war der Stormsche. Storm trug ihn rund um den Hals herum, trotzdem hing er noch in zwei Strippen vorn herunter, in einer kurzen und einer ganz langen. An jeder befand sich eine Puschel, die hin und her pendelte. So marschierten wir die Linden herunter, bis an die berühmte Ecke. Vorne saßen gerade Gardekürassiere, die uns anlächelten, weil wir ihnen ein nicht gewöhnliches Straßenbild gewährten. Ich sah es und kam unter dem Eindruck davon noch einmal auf meinen Vorschlag zurück. »Könnten wir nicht lieber zu Schilling gehen; da sind wir allein, ganz stille Zimmer.« Aber mit der Ruhe des guten Gewissens bestand er auf Kranzler. En avant denn, wobei ich immer noch hoffte, durch gute Direktiven einiges ausrichten zu können. Aber Storm machte jede kleinste Hoffnung zuschanden. Er trat zu der brunhildenhaften Comptoirdame, die selber bei der Garde gedient haben konnte, sofort in ein lyrisches Verhältnis und erkundigte sich nach den Einzelnheiten des Büfets, alle reichlich gestellten Fragen bis ins Detail erschöpfend. Die Dame bewahrte gute Haltung. Aber Storm auch. Er pflanzte sich, dem Verkaufstisch gegenüber, an einem der Vorderfenster auf, in das zwei Stühle tief eingerückt waren. »Hier wird er Platz nehmen«, an diesem Anker hielt ich mich.
Aber nein, er wies auch hier wieder das sich ihm darbietende Refugium ab, und den schmalen Weg, der zwischen Fenster und Büfet lief, absperrend, nahm er unser Gespräch über Mörike wieder auf, und je lebhafter es wurde, je mächtiger pendelte der Schal mit den zwei Puscheln hin und her. Ich war froh, als wir nach einer halben Stunde wieder heil heraus waren.
Täuscht mich nicht alles, so kann dergleichen heutzutage kaum noch vorkommen. Und das ist ein wahres Glück. Es hing das alles – weshalb ich es hier mit allem Vorbedacht erzählt habe – doch mit einer kolossal hohen Selbsteinschätzung (nur nicht im Geldpunkt) zusammen und einer gleichzeitigen Unterschätzung des Alltagsmenschen, des Philisters, des Nichtdichters oder Nichtkünstlers. Einer der herrlichsten und gefeiertsten Poeten der romantischen Schule hat ein Gedicht geschrieben unter dem Titel: »Engel und Bengel«, und wenn man solchen Schal trug und dabei dichtete, so war man eben ein »Engel«, und wenn man bloß Gardekürassier war, nun so war man eben das andere. Das ist nun Gott sei Dank überwunden, und gerade wir Leute von Fach dürfen uns gratulieren, solchen Wandel der Zeiten noch erlebt zu haben. Denn jene sonderbare »Engelschaft« hat unser ganzes Metier – ich denke dabei nicht weiter an Storm, dem es, wenn es zum Eigentlichsten kam, an einer wirklichen Legitimation nicht fehlte – doch schließlich nur lächerlich gemacht.
Im Sommer 64, kurz nach der Befreiung des Landes, kehrte Storm nach elfjähriger Abwesenheit in seine geliebte Heimat zurück. Er war nun wieder Landvogt in Husum. Aber im selben Augenblicke fast, wo seine Hand all das liebe Alte wieder in Besitz nahm, nahm eine wohlverständliche Schwermut von ihm Besitz. Er schrieb an einen Freund: »O, meine Muse, war das der Weg, den du mich führen wolltest! Die sommerlichen Heiden, deren heilige Einsamkeit ich sonst an Deiner Hand
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