Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
Begegnungen mit dem von Standesbewußtsein getragenen und von Natur etwas feierlichen Obertribunalsrat anfänglich ziemlich peinlich; der Verein indes, den die ganze Situation erheiterte, ließ es an einer dem Schwächeren zugute kommenden moralischen Unterstützung nicht fehlen und zeigte, daß er den Bäcker mehr oder weniger bevorzuge. Wieviel Recht dazu vorlag, mag ununtersucht bleiben, aber daß der von uns Bevorzugte, der sich besonders liebevoll an Scherenberg anschloß und von diesem wiedergeliebt wurde, von einer sehr gewinnenden Eigenart war, das stand fest. Er hatte manches, was an den Handwerksmeister erinnerte, ja, wenn man’s erst wußte, konnte man sogar die Belege für sein spezielles Gewerbe herausfinden; aber das war in nichts ein Hindernis, im Gegenteil, es schien mir immer, als ob sein Auftreten dadurch nur gewonnen hätte. Seine dann und wann schelmisch aufblitzenden Augen hatten für gewöhnlich etwas Schwermütiges, und ein leiser Leidenszug war unverkennbar. Er besaß das eigentümlich Anziehende, das alle Menschen haben, die durch viele Kämpfe gegangen sind. Und die hatten ihm denn auch wirklich nicht gefehlt. Er war weich und männlich zugleich, bescheiden und selbstbewußt, klug-nachgiebig und charaktervoll – und all das schuf dann ebenjenen Reiz, den er auf jedermann ausübte. Kugler war es, der ihn um die angegebene Zeit in den Tunnel brachte, seinen Arbeiten ein einführendes Lob lieh und überhaupt – auch draußen im Leben – für ihn sorgte. Dazu war nun freilich reiflich Gelegenheit gegeben, denn gerade die Jahre, die seinem Eintritt in unseren Kreis folgten, waren, auf seine bürgerlichen Verhältnisse hin angesehen, die denkbar traurigsten. Er hatte sich – ihn über das Dogma vom »goldenen Boden des Handwerks« (und speziell der Bäckerei) sprechen zu hören, war ein Hochgenuß – in seinem bürgerlichen Berufe nicht halten können und suchte sich nun durch einen kleinen, in einem losen Zusammenhange mit seinem Gewerbe stehenden Zwischenhandel durchzuschlagen. Aber es kam nicht viel dabei heraus und noch weniger bei dem, was er in seinen Mußestunden an novellistischen und dramatischen Arbeiten entstehen ließ. Die Zeiten, wo sich davon leben ließ, waren noch nicht da. Sein höchstes Glück, und zeitweilig auch wohl sein einziges, war, daß seine Frau ihm eine von Anfang an entgegengebrachte schwärmerische Liebe durch alle Zeit hin treu bewahrte und – was vielleicht ebensoviel bedeutete – inmitten aller Trübsal unentwegt an bessere Tage glaubte.
Die kamen denn auch. Aber das war vorläufig noch weit im Felde. Was Zunächst kam, war einfach ein Martyrium. Alle Versuche, sich durchzuschlagen, scheiterten, und es blieb ihm nichts anderes übrig, als die Stadtbehörden um irgendwelche Verwendung anzugehen. Auch das Kleinste sei gut genug. Und so wurde er denn einem Magistratsbureau zugewiesen, in dem er Steuerzettel zu schreiben hatte, deren im Laufe der Jahre viele Hunderttausende von seinem Schreibtisch aus in die Berliner Häuser wanderten. Als es ihm von dieser Schreiberei zuviel wurde, ward er statt Bureaugehülfe Stadtwachtmeister, eine Stellung, die seiner Art und seinem Wesen vielleicht noch weniger entsprach, aber an die Stelle der Stubenluft doch wenigstens eine frische Brise setzte. Das ging so wohl durch zwei Jahrzehnte, bis ganz zuletzt nicht sein dichterisches Talent – von dessen Heilswirkung seine liebenswürdige Frau beständig geträumt hatte –, sondern eine ganz triviale, trotzdem aber freilich sehr angenehme Erbschaft einen Wechsel der Dinge herbeiführte. Eine für seine Verhältnisse nicht unbedeutende Summe kam ins Haus, und sorglosere Tage brachen an. Zu Scherenberg, der sein Ideal blieb, stand er ununterbrochen in freundschaftlichen Beziehungen, rechnete sich’s nach wie vor zur Ehre, sich ihm, seinem Meister, durch kleine literarische Dienste nützlich machen zu können, und übersandte, wenn Geburtstag war, Blumen und Verse. Die Produktion seiner späteren Jahre, darunter eine »Schlacht bei Sadowa«, verlor mehr und mehr an Natürlichkeit und Eigenart, und der Hippogryph, den er noch sattelte, war das Scherenberg-Pferd von Hohenfriedberg und Ligny. Seines Meisters Tod überlebte er nicht lange; bald nach ihm starb er selbst und wurde auf dem Parochialkirchhof vor dem Landsbergertor, wo wahrscheinlich ein Erbbegräbnis der Familie seiner Frau war, begraben.
Seine Tunnel-Tage, wie schon hervorgehoben, waren seine sorgenvollsten, aber
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