Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
neun Uhr früh die Weiterreise stattfinden und zur Überführung des Toten ein Schlitten, am besten ein Planschlitten, leicht und einspännig, beschafft werden solle. Alles regelte sich rasch und kurz, und nun erst sagte der Geheimrat, indem er sich erhob:
»Ich wünsche meinen Sohn zu sehen.«
»Er steht in der Kirche oben«, bemerkte Berndt. »Vor dem Altar. Es war sein letzter Wunsch.«
»So will ich hinauf. Aber allein, Vitzewitz. Ich bitte nur um die Begleitung Ihres Küsters. Ein Alter, hoff ich.«
Dies konnte bejaht werden, und das Gespräch, das sonst ins Stocken geraten wäre, wandte sich jetzt mit Vorliebe und Ausführlichkeit dem Umstande zu, daß es im ganzen Oderbruche kein Dorf gäbe, in dem die Leute so alt würden wie in Hohen-Vietz. Immer neue Beispiele wurden gefunden, erst der alte Wendelin Pyterke und dann Seidentopfs Amtsvorgänger, der seine diamantene Hochzeit gefeiert und drei Tage später einen kleinen Ururenkel getauft habe. Schwächehalber freilich habe er die Taufformel im Sitzen sprechen müssen. Und bei diesem Amtsvorgänger und seinem Ururenkel – dessen Existenz übrigens, wie wenn es sich um eine Unschicklichkeit gehandelt hätte, von der Schorlemmer bestritten wurde – verweilte das Gespräch noch, als Jeetze meldete, daß der alte Kubalke angekommen sei und draußen warte.
Alle gingen ihm entgegen. Er stand in der Halle und hielt den Kirchenschlüssel und eine große Laterne in seiner linken Hand. Mit der rechten nahm er sein Sammetkäpsel ab und grüßte.
»‘s ist schon spät, Papa«, sagte Ladalinski. »Mehr Bettzeit als Kirchenzeit. Aber Ihr wißt –«
Und damit verließen beide den Flur und traten in die mit allerhand Strauchwerk besetzten Parkgänge hinaus. Lewin und Hirschfeldt waren ihnen bis an die Hoftüre gefolgt. »Wie bei Plaa«, sagte jener und setzte nach einer kurzen Pause hinzu: »Aber dieser Gang ist schwerer.«
Hirschfeldt nickte still, und beide kehrten in das Eckzimmer zurück.
Die beiden Alten stiegen inzwischen hügelan, Kubalke zwei, drei Schritt’ vorauf, um besser leuchten zu können, denn nur wenige Sterne schienen, und hier und dort waren Wurzeln über den Weg gewachsen. Als sie halb hinauf waren, hielt er, bis der Geheimrat heran war, und sagte: »Passen’s Achtung, gnäd’ger Herr, hier ist Glatteis.« Und dann ins Plattdeutsche fallend, was ihm, trotzdem er Schulmeister war, aus Alter und Unachtsamkeit öfters passierte, schloß er seinen Satz: »De verdüwelten Jungens, se hebben hier ‘ne Slidderboahn moakt. Un mihr as een. Se weeten nich, dat ook olle Lüd’ in de Welt rummerlopen. Olle Lüd’, as wie ick .«
»Wir werden so weit nicht auseinander sein«, sagte Ladalinski, dem die Weise, wie der Alte sprach, angenehm im Ohre klang.
»Doch, doch«, antwortete dieser und fuhr dann, ebenso unwissentlich das Hochdeutsche wieder aufnehmend, fort: »Als ich so war, wie der gnäd’ge Herr jetzt sind, Mitte Sechzig oder so, da war meine Maline noch keine zehn Monate alt, und die Eve, die ja der gnäd’ge Herr auch kennen – drüben in Guse, aber jetzt hab’ ich sie wieder bei mir, denn es ist unser Nestküken – ja, das Evelchen, das war noch gar nicht geboren.«
»Da sind Sie über achtzig, Papa?«
»Dreiundachtzig. Das heißt nächsten dreizehnten August.«
»… Und müssen also spät geheiratet haben.«
»Ja, gnäd’ger Herr, das hab’ ich. Das heißt, es war die zweite Frau. Als ich das erstemal auf die Freite ging, das war drei Jahr’ eher, als wir die Russen hier hatten, und ich war eben erst ins Dorf gekommen… Aber da sind wir schon.«
Und dabei trat er auf die Steinstufen des tief eingeschnittenen Portals und schloß die große Kirchentür auf, die sich nach innenhin öffnete. Sie passierten erst den Turm zwischen dem Stubbenholz und den alten katholischen Altarpuppen hin, die zusammengefegt in der Ecke lagen, und schritten dann, an den Chorstühlen vorbei, den breiten Mittelgang hinauf, auf Altar und Kanzel zu.
Als sie bis an die vorderste Stuhlreihe gekommen waren, wollte der Geheimrat nach links hin eintreten und sich einen Augenblick setzen; denn er bedurfte der Sammlung. Aber der alte Kubalke zog ihn hastig wieder zurück und sagte: »Nicht da, gnäd’ger Herr; das ist der Majorsstuhl.«
Der Geheimrat sah ihn verwundert an.
»Nicht da, gnäd’ger Herr«, wiederholte der Alte, »nicht da. Das war anno 59, und ich seh’ es noch wie heute. Sie brachten ihn von Kunersdorf her, Grenadiere vom Regiment
Weitere Kostenlose Bücher