Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
Itzenplitz, und hier legten sie ihn nieder, hier auf diese Bank. Aber er hatte das Leben satt. ›Kinder, ich will sterben‹, sagte er und riß sich die Binden ab. Und da hat er sich verblutet. Es war den 12. August, den Tag vor meinem Geburtstag.«
Bei diesen Worten hatte der alte Kubalke den Geheimrat nach der andern Seite hinübergezogen. Die vorderste Chorstuhlreihe war hier freilich geschlossen, aber in ihrer Front lief eine schmale Bank, auf der, wenn Konfirmation war, die Einsegnungskinder ihre Plätze hatten. Darauf setzten sich jetzt die beiden Alten und hatten nun die Bahre dicht vor sich, keine drei Schritt’ ab.
Als sie sich eine Weile geruht, sagte Ladalinski: »Nun denk’ ich, wollen wir den Deckel abnehmen.«
»Noch nicht, gnäd’ger Herr. Sie müssen den jungen Herrn Sohn doch wenigstens sehen können. Und es ist ja noch so dunkel. Ein lieber junger Herr. Erst letzten Sonntag, da hab’ ich ihn hier eingeschlossen mit Marie Kniehase; denn ich habe keine Augen mehr. Und als ich nach einer Viertelstunde wiederkam, da stand er hier und hatte rote Backen. Dicht neben dem Majorsstuhl. Aber die Marie war noch röter. Ich will erst die Lichter anstecken, gnäd’ger Herr.«
Damit ging er auf den Altar zu, nahm die Wachslichter von den großen Messingleuchtern und zündete sie an. Anfangs schien es, daß sie wieder verlöschen wollten, aber zuletzt brannten sie, und der Alte, während er jetzt die Bahrdecke fortnahm und auf die Altarstufen niederlegte, sagte ruhig: »Nu, mit Gott, gnäd’ger Herr.«
Ladalinski hatte sich erhoben und stellte sich an die eine Schmalseite des Sarges.
»Steh’ ich zu Häupten oder zu Füßen?« fragte er.
»Zu Häupten.«
»Ich will doch lieber zu Füßen stehen.«
Darnach wechselten sie die Plätze und hoben nun den Deckel ab, der alte Geheimrat mit krampfhaft geschlossenem Auge.
Und nun erst sah er auf den Sohn, fest und lange, und fand zu seiner eigenen Überraschung, daß sein Herz immer ruhiger schlug. Was war es am Ende? Er war tot. Und er fühlte tief in seiner Seele, daß es nichts Schreckliches sei, nein, nein, Freiheit und Erlösung. Das Leben erschien ihm so arm, der Tod so reich, und nur ein Gefühl beherrschte ihn: »Ach, daß ich an dieses Toten Stelle wäre.«
Er betete für ihn und für sich selbst; dann, während ihn alles traumhaft umwogte, stand er eine Minute noch und sagte dann: »Nun, Papa, wollen wir wieder schließen.«
Der war es bereit, und sie legten auch die Bahrdecke wieder über den Sarg, ein verschossenes Stück Wollenzeug, das nur eben bis an die Tragbalken der Bahre reichte. Und siehe, das alte katholische Gefühl, wie es sich erst in Kathinka und dann zuletzt auch in Tubal geregt hatte, es wurde jetzt ebenso in dem Herzen des alten Ladalinski wieder lebendig, und er sagte, während er auf den Sarg und die ärmliche Decke deutete:
»Es sieht so kahl aus. Was meint Ihr, ich möchte das Kruzifix nehmen und es obenauf legen. Oder glaubt Ihr, daß es Anstoß gibt?«
»Nicht doch, gnäd’ger Herr. Das ist so recht was für ein Kruzifix. Dafür ist es ja da, für die Toten, die brauchen’s. Hier unten geht es noch so; aber drüben, da fängt es an.«
Und so nahmen sie das Kruzifix vom Altar, legten’s auf die Sargdecke und setzten sich wieder, der alte Kubalke aber fuhr in zutraulichem Tone fort: »Es ist noch keine sieben Jahre her, da hab’ ich es auch vom Altar weggenommen. Denn da war die Löffelgarde hier und die Marodeurs; und auch den andern war nicht viel zu trauen, wenn es was Silbernes war. Und da sagt’ ich zu meiner Frau: ›Frau, wo stecken wir’s hin?‹ ›Steck es in den Bettsack‹, sagte sie, aber das wollt’ ich ja nicht, und so steckt’ ich es in mein Kopfkissen und legte mich und wollte darauf schlafen. Aber das war auch nicht das Rechte, und ich hatte keine Ruhe, und mir war es immer, als drückt’ ich auf die Wunden meines Heilands und tät’ ihm weh. Da stand ich denn auf und nahm es wieder heraus und hing es an den Spiegelpfeiler. ›Mutter‹, sagt’ ich, ›es ist nicht nötig, daß wir es verstecken. Und wenn das Franzosenzeug auch in unsere Kirchen einbricht, in ein armes Küsterhaus werden sie nicht einbrechen. Da suchen sie nichts. Und wenn sie doch kommen, da wird Er sich selber zu schützen und zu helfen wissen. Denn das haben wir hier herum erfahren, er läßt sich nicht spotten. Auch in seinem Bilde nicht.‹«
Der Geheimrat hatte bewegten Herzens zugehört. Ach, wie wohl ihm diese
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