Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
Sprache tat und dieser kindliche Glaube. Er nahm seines Begleiters Hand und sagte: »Nun wollen wir wieder gehen.«
Und beide standen auf; der Alte löschte die Lichter, und zwischen den Kirchstühlen hin schritten sie wieder auf den Ausgang zu. Als sie den Turm eben passierten, schlug es zehn. Der Schlag der Glocke dicht über ihnen erfrischte dem alten Ladalinski das Herz, und so traten sie wieder ins Freie.
Es war noch dunkler geworden, die letzten Sterne fort, und Kubalke ging wieder vorauf, bis sie halben Weges an die Schlitterbahnstelle kamen.
»Passen’s Achtung, gnäd’ger Herr, hier ist das Glatteis«, sagte der Alte wie beim Hinaufsteigen und schien auch wieder von den »verdüwelten Jungens« sprechen zu wollen. Aber Ladalinski kam ihm zuvor und sagte, anknüpfend an ihr unterbrochenes Gespräch: »Sie waren zweimal verheiratet, Papa? War es nicht so?«
»Ja, gnäd’ger Herr.«
»Und hatten auch Kinder von der ersten Frau?«
»‘ne Tochter.«
»Und die lebt noch?«
»Nein, gnäd’ger Herr. Lange tot; gestorben und verdorben. ‘s war so der Nachlaß von der Mutter her.«
Der alte Geheimrat sah ihn fragend an.
»Ja, die Mutter. Das war so eine schmucke Person, und alles Mannsvolk lief ihr nach. Und da war auch ein Kandidat hier, und eines Sonntags, als sich der alte Pastor Ledderhose, der hundert Jahr’ alt wurde, den Fuß ausgerenkt hatte, da stand unser Herr Kandidat auf der Kanzel und predigte, und Wendelin Pyterke, der damals unser Schulze war, sagte zu mir: ›Höre, Kubalke, der versteht’s.‹ Und er verstand es auch. Aber was? Am Abend waren sie beide fort. Ins Pommersche, so nach Kammin oder Kolberg zu. Und da wurd’ er Salzinspektor; aber es dauerte nicht lange, und es hat ein schlechtes Ende genommen.«
»Und die Tochter?«
»Die war bei mir, bis sie siebzehn war; da flog sie auch weg, und es war alles ebenso. Wie sich einer bettet, so liegt er. Aber nun ist Gras drüber gewachsen.«
Bei diesen Worten waren sie bis an die Rückseite des Herrenhauses gekommen, und der alte Kubalke klinkte die Hoftür auf. Auf dem matterleuchteten Hinterflur trafen sie Jeetze.
»Gute Nacht, Papa!« sagte Ladalinski. »Haben auch manches erlebt.«
»Ja, gnäd’ger Herr. Aber Gras wächst über alles.«
Sechsun
dzwanzigstes Kapitel
Zwei Begräbnisse
Um neun Uhr früh hatte Ladalinski seine Reise nach Bjalanowo hin fortsetzen wollen, und nachdem er sich, als diese Stunde da war, im Hause verabschiedet hatte, stieg er jetzt die winterlich kahle Nußbaumallee hinauf, um den vor dem Altar stehenden Sarg abzuholen. Mit ihm waren nur Berndt und Lewin. Neben ihnen her schwankte ein in Federn hängender Chaisewagen, während ein nur mit einem einzigen Pferde bespannter Planschlitten um zehn oder zwanzig Schritt’ vorauffuhr. Es war derselbe, der schon die Fahrt nach »Bastion Brandenburg« mitgemacht und von Bamme vorahnend den Namen »Sargschlitten« empfangen hatte. Pachaly saß wieder auf dem Deichselbrett, alles wie drei Tage vorher, nur daß sich auf dem hohen Kummet des Pferdes, in einem alten Stahlbügel aufgehängt, ein einziges Schlittenglöckchen hin und her bewegte.
Nun war man oben; die Planschleife fuhr unmittelbar bis an die Stufen des Portals, während der Chaisewagen in einiger Entfernung halten blieb. Die Kirche stand auf; Pachaly trat mit ein, und einen Augenblick später erschien auch der Ladalinskische Diener. So schritten sie den Mittelgang hinauf bis an den Altar; Berndt erkannte das Kruzifix und wußte wohl, wer es dahin gelegt hatte. Sie stellten sich nun zu beiden Seiten des Sarges, ohne daß ein Wort gesprochen worden wäre; endlich sagte der Geheimrat: »Nun tragt ihn hinaus.« Und dabei nahm er das Kruzifix, um es wieder auf den Altar zu stellen, von dem er es genommen hatte. Aber der alte Vitzewitz kam ihm zuvor und sagte: »Nein, Ladalinski, nicht so, das ist nun Ihre ; mein Großvater hat es dieser Kirche gestiftet, und ich werde ein neues stiften. Nehmen Sie es, ich bitte Sie darum. Sie haben mir, wollentlich oder nicht, Ihren Sohn gegeben, und alles, was ich Ihnen wiedergeben kann, ist dieses Kreuz. Ach, ich hab’ es auch getragen.«
Ladalinskis Lippen zitterten; er konnte nicht sprechen oder wollte nicht. Dann aber riß er in freudiger Erregung einen Streifen von der Bahrdecke, legte den Streifen, als ob es eine Schärpe wäre, um die Mitte des Sarges und schob das Kruzifix, das sonst keinen Halt gehabt hätte, in den schwarzen Schärpenknoten
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