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Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)

Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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aufgepaßt, an der erwähnten letzten Diariumsseite zugrunde ging. Sie starb in sehr beschränkten Verhältnissen. Die junge Blondine – und das ist das einzig Erfreuliche an der Sache – kam unangefochten darüber hin und ist längst glückliche Großmutter.
    So die Geschichte. War das Verfahren richtig? Ich, wenn ich Schulrat gewesen wäre, hätte nach der Schulstunde zu dem armen, in seiner Scham und Todesangst genugsam abgestraften jungen Dinge gesägt: »Mein liebes Fräulein, wir wollen das zerreißen; das gehört nicht in Ihre Phantasie, noch weniger in Ihr Diarium.« Und damit, meine ich, wäre es genug gewesen. Ich unterbreite die Geschichte nach Ablauf von mehr als vierzig Jahren dem Urteil der Pädagogen und denke, sie werden mir zustimmen, wenn ich sage: Methfessel, soweit diese Geschichte mitspricht, war ein Doktrinär und kein Menschenkenner. Oder aber – er wollte keiner sein.
    Ich fürchte beinahe das letztere.

Sechstes Kapitel
     
    Louis Schneider
     
    Hofschauspieler, Geheimer Hofrat, Vorleser Friedrich Wilhelms IV.
    Louis Schneider war der, den es sich wohl eigentlich geziemt hätte, diesen Porträtskizzen voranzustellen, denn wenn er nicht wie Saphir und Lemm zu den unmittelbaren Tunnel-Gründern gehörte, so war er doch jedenfalls unter den ersten Mitgliedern des Vereins und hing an ihm, durch ein halbes Jahrhundert, in immer gleicher Treue. Bis zum 18. März – von wo ab sich dann die Dinge freilich änderten – war es sein Verein, in dem seine Geschmacksrichtung und seine Gedankenwelt herrschte, trotzdem es nicht an Gegnern fehlte, die diese »Gedankenwelt« belächelten, ja, sie überhaupt nicht als eine Gedankenwelt gelten ließen. Im ganzen aber durfte bis zu genannter Zeit – 18. März – gesagt werden: »Schneider ist der Tunnel, und der Tunnel ist Schneider.« Beide, Schneider und der Tunnel, waren im wesentlichen liberal mit Anlehnung an Rußland . Also eigentlich ein Unding. Aber so gingen die Dinge damals, und wenn man gerecht sein will, begegnet man ähnlich Widersprechendem auch heute noch. Es geht viel unter einen Hut.
    Schneider hieß im Tunnel »Campe der Caraïbe«, und so bedeutungslos im allgemeinen alle diese Tunnel-Beinamen waren, so war doch hier ein Ausnahmefall gegeben. Das ganze Schneidersche Wesen hätte nicht besser charakterisiert werden können. In seiner mit Trivialitäten ausgestatteten, breitprosaischen Väterlichkeit war er ganz der Robinson Crusoe- Campe , wenn er aber in ein mehr oder weniger erkünsteltes Feuer geriet und dabei die gewagtesten seiner Sätze durch immer neue Ungeheuerlichkeiten übertrumpfte, so war er ganz »Caraïbe«. Fähnrich Pistol soll eine seiner Glanzrollen gewesen sein, und Fähnrich Pistol und Caraïbe ist so ziemlich dasselbe, nämlich der bis ins Komische gesteigerte »wilde Mann«.
    Noch einmal: bis 48 war Schneider die Seele des Vereins. Von 48 ab aber war er nur noch die Säule desselben. Er trug den Tunnel noch, aber mehr äußerlich; es war nicht mehr dessen innerstes Leben. Es lag dies weniger an den sich ändernden politischen Verhältnissen als daran, daß mit einem Male ganz neue Personen auftraten, die zu Schneider, gleichviel nun, ob er seinen väterlichen Campe- oder seinen wilden Caraïben-Tag hatte, den Kopf schüttelten. Unter diesen Neuhinzugekommenen waren Kugler, Eggers, Heyse, Geibel, Storm; dazu – als Kritiker – so superiore Leute wie Dr. A. Widmann und H. von Orelli. Man braucht ihre Namen nur zu nennen, um sofort erkennen zu lassen, daß es mit diesen nicht ging. Er war ihnen einfach nicht gewachsen und fühlte seinen Stern erbleichen, griff aber, um diesen Prozeß zunächst wenigstens hinauszuschieben, zu dem bekannten Mittel des »Sich-Rarmachens«. Er konnte dies um so unauffälliger, als zwei Dinge: sein so ziemlich in dieselbe Zeit fallender Rücktritt vom Theater und sein neues, unmittelbar danach beginnendes Vorleseramt beim König, ohnehin zu seiner Übersiedlung von Berlin nach Potsdam geführt hatten. Dies seltenere Sichzeigen im Tunnel war aber nicht gleichbedeutend mit Interesselosigkeit, er blieb allen Gegnerschaften zum Trotz durchaus unverändert in seiner Anhänglichkeit, sah aber freilich die Motive zu diesem seinem Aushalten in einem fort verdächtigt, und zwar so sehr und noch dazu mit so geringer Begründung, daß ich zu dem Ausspruch gezwungen bin: nicht Schneider war in dieser nachachtundvierziger Zeit untreu gegen den Tunnel, sondern der Tunnel war untreu gegen Schneider. Vor

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