Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
Schneider – dessen viel patronisierter ›Soldatenfreund‹ wesentlich dazu beigetragen hatte, daß ein Teil des preußischen Offizierkorps seine Ehre darin sah, sich als russische Avantgarde zu fühlen und in den Tagen schärfster Diskrepanz zwischen deutschen und russischen Interessen die moralische Unentbehrlichkeit der russischen Allianz zu predigen – Louis Schneider ließ sich im Jahre 1848, unter dem Titel eines Mitarbeiters, für die in Rußland selbst nur mit Ekel und Verachtung genannte ›Nordische Biene‹ zum Leibkorrespondenten des Kaisers Nikolaus anwerben… Gewohnt, die russische Obergewalt als naturgemäßes Verhältnis zu behandeln, sah Schneider in dem russischen Monarchen lediglich den ›europäischen Rennebohm‹ der bekannten Berliner Eckensteher-Anekdote, jenen alles regulierenden Hausherrn also, der sowohl Schulzen wie Lehmann aus seiner Bierstube weist, weil sie sich gegenseitig Ohrfeigen stechen wollen… Den Tag, an welchem die Kunde von dem Tode des Kaisers am preußischen Hofe eintraf, zählte Schneider zu den traurigsten seines Lebens, und die von ihm in den Spalten des ›Soldatenfreundes‹ angestimmte Totenklage um den kaiserlichen Gönner war – neben dem bekannten, aus der Feder des ostpreußischen Generalsuperintendenten Sartorius stammenden Kreuzzeitungs-Artikel ›Ein Mann ist gestorben‹ – die pathetischste, die überhaupt vernehmbar wurde. Aus der Hand des Prinzen Karl empfing Schneider einige Wochen später eine von einunddreißig russischen Generaladjutanten, Suiteoffizieren und Flügeladjutanten unterzeichnete Adresse, in welcher diese Herren ihm ihren allerinnigsten und aufrichtigsten Dank für das Bild abstatteten, das er in seinem Blatte von ihrem unvergeßlichen Kaiser entworfen habe… Wie Schneider dachte die sämtliche Partei der Leute, denen die Partei über das Vaterland, das scheinbare Interesse der Krone über das wahre und dauernde Interesse des Staates ging. In dem Berlin der letzten vierziger und ersten fünfziger Jahre ist es ein öffentliches Geheimnis gewesen, daß die Fraktion, welche sich die ›konservative‹ nannte, ihre Parole an den Vorabenden wichtiger Entscheidungen fast regelmäßig aus dem russischen Botschaftshotel holte und daß der Herr dieses Hauses, Baron Meyendorf, auf Beamtentum und Gesellschaft der preußischen Hauptstadt seinerzeit Einflüsse geübt hat, wie russische Minister sie, seit den letzten Tagen der Königlichen Republik Polen, in fremden Ländern nicht mehr besessen hatten.«
So die Schrift »Berlin und St. Petersburg«, deren Verfasser sicherlich von dem stolzen Gefühl erfüllt gewesen ist, einen »Unwürdigen« gewürdigt zu haben. Er hat auch wirklich, was in einer Parteischrift etwas sagen will, in nichts übertrieben. Ja, so war Schneider; ich kann es bestätigen. Aber ist dies so etwas Furchtbares? Eher das Gegenteil. Eine Schilderung wie die hier von Schneider gegebene paßte bis 1840 – und dann neubelebt auch wieder von 48 ab – auf Hunderttausende, darunter Prinzen des Königlichen Hauses, die, was immer ihre Fehler sein mochten, wenigstens den einen Fehler nicht hatten, unpatriotisch zu sein. Ihr Patriotismus forderte, wie das auch das obige Broschürenzitat ausspricht, ein Zusammengehn mit Rußland. Ja, warum nicht? Es ist, wenn man dieser Frage nähertreten will, durchaus nötig, sich in die Zeiten der Heiligen Allianz und der dieser Allianz unmittelbar vorausgehenden Kriegsjahre zurückzuversetzen. Rußland hatte uns gerettet, bei Existenz erhalten. Nicht bloß von Anno 6 bis 12, auch noch 13 und 14. Unerträglich ist es, immer noch in so vielen Büchern und Artikeln der naiven Vorstellung zu begegnen, als habe die Provinz Ostpreußen oder das Yorksche Korps oder die pommersche Landwehr den Kaiser Napoleon besiegt. Durch dies unnatürliche Heraufpuffen hat man – von dem Häßlichen der Unwahrheit ganz abgesehn – nur Ärgerlichkeiten und Torheiten geschaffen, die sich später gerächt haben. Es war nicht so, wie’s in den Klippschulen vorgetragen wird. Die Macht der beiden Kaiserstaaten, Rußland und Österreich, so wenig enthusiastisch sie vorgingen, hatte doch schließlich den Ausschlag gegeben, nicht der Todesmut Preußens, der diesem, in allem übrigen, ein unbestrittener Ruhmestitel bleibt. Und nun kam der Friede, Nikolaus wurde »Schwiegersohn«, und durch ein Menschenalter hin hatten wir eine Verbrüderung mit Rußland. Wer jene Zeit noch miterlebt hat, weiß, daß das ganze offizielle
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