Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
darauf. Können Sie sich denken, daß ich ein wirkliches Vergnügen an diesen Dingen habe?«
»Gewiß«, antwortete Franziska, »das dürfen Sie, das ist Ihr gutes Recht. Und wenn ich an Ihrer Stelle wäre, so würd’ ich es auch haben. Aber unsereins ist doch mehr oder weniger geniert und empfindet leicht eine Verwandtschaft heraus, die schließlich bedenklich ist.«
»Sie scherzen«, sagte der Graf, »oder wenn es wirklich Ihr Ernst ist, so möcht’ ich fast von Empfindelei sprechen dürfen.«
»Empfindelei vielleicht. Aber Scherz, nein. Ich nehm’ es ganz ernsthaft. Auch glaub’ ich kaum, daß ich damit vereinzelt dastehe.«
»Phemi?« lachte der Graf.
»Nein, Phemi nicht. Aber andere, wobei mir eine kleine, dasselbe Gefühl ausdrückende Lenau-Geschichte wieder in Erinnerung kommt, die mir Bauernfeld letzten Winter erzählte.«
»Darf ich sie wissen?«
»Gewiß. Ich habe die Namen und näheren Umstände vergessen, aber gleichviel. In irgendeinem Wiener Restaurant, in dem Lenau verkehrte, befand sich eine junge Person, die nicht bloß die Gäste bediente, sondern auch Verse machte. Diese Verse nun wurden bei bestimmter Gelegenheit an Lenau gegeben, der sie las und sofort in eine befangene Stellung zu der neuentdeckten Dichterin geriet. Alles, was sie geschrieben hatte, war unter mittelmäßig, aber sich auch fernerhin von ihr bedienen zu lassen, erschien ihm nichtsdestoweniger unmöglich oder doch im höchsten Grade peinlich. Er sah in ihr die Kollegin, die Mitschwester, und wußte sich schließlich nicht anders zu helfen, als daß er fortblieb. Es hat das, als mir Bauernfeld davon sprach, einen großen Eindruck auf mich gemacht, und ich würd’ es einen feinen und liebenswürdigen Zug an Lenau nennen, wenn ich mir nicht selber damit eine Schmeichelei sagte.«
»Die Sie sich mit gutem Gewissen sagen dürfen«, antwortete der Graf und nahm einen Augenblick ihre Hand. »Übrigens freut es mich aufrichtig, Sie so lenaubegeistert zu finden. Heute schon zum zweiten Male.«
»Wie das? Zum zweiten Male?«
»Nun, meine Gnädigste, Sie werden doch allen Ernstes nicht glauben wollen, daß ich das schöne ›Nach-Süden‹-Lied, wie Sie’s damals nannten, und seine Schlußstrophe vergessen haben könnte?«
»Welches?«
»›Hörbar rauscht die Zeit vorüber an des Mädchens Einsamkeit…‹ Ich glaube, so hieß es. Es hat mich damals in seiner melancholischen Schönheit eigentümlich ergriffen und war der erste Plauderabend bei der Tante. Nur Feßler war zugegen und draußen Schnee gefallen. Entsinnen Sie sich noch?«
Franziska war betroffen, aber es gelang ihr, ihre Verlegenheit zu verbergen, und in einem immer lebhafter werdenden Gespräch schritten beide die Berglehne hinunter und auf die Budengasse zu.
»Sollten wir nicht lieber einen Umweg machen!«
»Oh, nicht doch«, antwortete die Gräfin, an die sich seitens Franziska diese Frage gerichtet hatte. »Mein Leben verläuft viel zu still und einsam, als daß es mir nicht eine Freude sein sollte, von ungefähr unter Menschen zu kommen. Ich such’ es nicht auf, aber wenn es sich gibt, so heiß’ ich es jedesmal willkommen.«
Und so mündete man denn wirklich in das bunte Fest- und Jahrmarkttreiben ein.
Eine Menge großer Schaubuden war da, Panoramen, an denen sie, dem Menschenzuge folgend, rasch vorübergingen, bis ihnen zuletzt ein kleines Zelt auffiel, über dessen Eingang in Transparent die Worte standen: »Einzige Verkündigung der Wahrheit« und darunter in kleiner Schrift: »Fünfzig Kreuzer.«
»Ah!« sagte Phemi, »da muß ich hinein. Oft ist mir die Wahrheit umsonst gesagt worden, aber sie war auch darnach. Nichts ist umsonst, nicht einmal die Wahrheit.«
Und sie schickte sich wirklich an, in das Zelt einzutreten.
Aber Franziska zog sie mit Gewalt zurück und sagte: »Du bleibst!«
Eine momentane Verlegenheit trat ein und schwand erst wieder, als man aus der Budengasse heraus war.
»Ich war überrascht, Sie so heftig zu sehen«, nahm endlich Egon das Gespräch wieder auf. »So heftig und so bestimmt.
»Und noch dazu gegen Phemi«, setzte Franziska lachend hinzu. »Phemi selbst aber wird mir am ehesten verzeihen. Ich konnte nicht anders und habe nun mal einen tiefen Widerwillen dagegen. Unser ganzes Leben ist eine Kette von Gnaden, aber als der Gnaden größte bedünkt mich doch die, daß wir nicht wissen und nicht wissen sollen, was der nächste Morgen uns bringt. Und weil wir’s nicht wissen sollen , sollen wir’s auch nicht
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